Paris/Berlin - Die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland ist am Mittwoch Gegenstand internationaler Pressekommentare:

"Libération" (Paris):

"Die Souveränität Georgiens gibt es nicht mehr. Die beiden neuen 'Staaten' gibt es nur dank der Petro-Rubel und der russischen Truppen. Ob Südossetien oder Abchasien - die hier wohnenden Georgier wurden zu Tausenden Opfer 'ethnischer Säuberungen'. Ihre Kollaborateur-Regierungen sind mafiöse Geschöpfe der russischen Geheimdienste. Die südossetischen 'Minister' sind russische Generäle im Ruhestand. Was tun vor diesen geschaffenen Tatsachen? Natürlich Moskau verurteilen. Doch mehr noch, eine Debatte über die Beziehungen des Westens mit diesem Russland eröffnen, das seit zwanzig Jahren als ehrlicher Partner angesehen wird. Nach dem Krieg gegen Georgien muss man nach dem Platz eines Landes in der G-8 fragen, das international anerkannte Grenzen bricht - und nach der Legitimität dieses Landes in demokratischen Instanzen wie dem Europarat."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Wie Russland und der Westen aus dieser tiefsten Krise seit dem Zerfall der Sowjetunion wieder herausfinden wollen, ist ungewiss. Dies ist der freie Fall. Und er geschah, weil Moskau auf eindrucksvolle Weise vorführt, wie man militärisch siegen, aber politisch untergehen kann. (...) Als sei Russland plötzlich aufgewacht und habe erkannt, dass es seit Jahren Trugbildern von Kompromissen und Partnerschaft nachgelaufen sei, bejubelt es nun den Bruch mit dem Westen als Befreiungsschlag, als Überlebensreflex.

Dabei hat Moskaus Führung es fertiggebracht, dass niemand mehr über den Angriff georgischer Panzer auf (die südossetische Hauptstadt) Zchinwali spricht und die Welt Kriegsopfer einzig in Tiflis beweint. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili, der nach Jahren gescheiterter Polizeiaktionen einen erbärmlich vorbereiteten, miserabel geführten Krieg provoziert hat, wird heute mindestens so sehr durch die russischen Panzer in der georgischen Schwarzmeerstadt Poti gestützt wie durch seine Verbündeten in Washington."

"Der Tagesspiegel" (Berlin):

"Zwangsläufig steuert die Kaukasus-Krise nun das nächsthöhere Stadium ihrer Eskalation an. Der Konflikt um Südossetien ist damit auf dem besten Wege, sich zu einer globalen Krise auszuwachsen. Seit Montag bereits kreuzen zehn Kampfschiffe der NATO im Schwarzen Meer vor Georgiens Küste. Weitere acht sind auf dem Weg dorthin. Ein US-amerikanischer Zerstörer, der nach russischer Darstellung Flügelraketen - eventuell mit Kernsprengköpfen - an Bord haben soll, kreuzt vor Georgiens Kriegshafen Poti, den nach wie vor russische Truppen kontrollieren. Russland fühlt sich dadurch bedroht und beorderte Kampfschiffe seiner Schwarzmeerflotte in das Krisengebiet. (...)

Zwischen Russlands Einmarsch in Südossetien und der pro-westlichen Politik, die Georgien wie die Ukraine betreiben, stellte das russische Staatsfernsehen einen Kausalzusammenhang her und trommelt seither aggressiv für einen Machtwechsel in Kiew wie in Tiflis. Das Kalkül: Mit Ausnahme der Baltenstaaten würden alle ehemaligen Unionsrepubliken dann wieder von loyalen oder wenigstens neutralen Politikern regiert."

"Westdeutsche Zeitung" (Düsseldorf):

"Mit der Verwüstung Zchinwalis habe Saakaschwili endgültig jeden Anspruch auf die abtrünnigen Regionen verspielt, und jedermann in Washington, Brüssel oder Berlin wusste, dass es so war. Überraschen kann daher niemanden die Anerkennung der beiden Republiken durch Moskau, sondern allenfalls die Eile, mit der der Kreml Georgiens Schutzmacht USA vor vollendete Tatsachen stellt. Ein Krieg ist keine Lappalie, die folgenlos bleiben könnte. Schon gar nicht ein verlorener. Vielleicht haben nun alle ihre kaukasische Lektion gelernt - in Washington, Tiflis und Moskau."

"General-Anzeiger" (Bonn):

"Das Kernproblem lautet ungeachtet des russischen Fehlverhaltens: Darf die NATO einem flammenden Nationalisten und - wie mit seiner Offensive bewiesen - militärischen Abenteurer wie Saakaschwili militärischen Beistand und Schutz anbieten? Die Antwort auf diese Frage spaltet die Berliner Regierung: Die Kanzlerin hält es für selbstverständlich, der Außenminister plädiert für einen pfleglichen Umgang mit der Regierung an der Moskwa."

"Kölner Stadt-Anzeiger":

"Mittlerweile ist klar, dass der Kreml seit Monaten einen kleinen siegreichen Krieg vorbereitet und Georgiens hitzköpfigen Präsidenten Saakaschwili in eine geschickt getarnte Falle gelockt hat. Das übergeordnete Ziel dieses August-Krieges ist die Rückkehr Russlands nicht nur in den Kaukasus, sondern auf die politische Weltbühne - und dazu gehört aus Sicht des Kreml auch militärische Macht. Sie einzusetzen und dann auf halbem Wege haltzumachen, widerspricht russischer Tradition. Dass der Kreml sein Verhältnis zum Westen deutlich verschlechtert, ist einkalkuliert."

"Gazeta Wyborcza" (Warschau):

"Die internationale Öffentlichkeit verurteilt heute einstimmig Moskau. Russland ignoriert diese Kritik. Es versucht, den Eindruck zu erwecken, dass das heute machtlose Amerika (...) und das unter Altersschwäche leidende Europa der aufstrebenden 'Supermacht' nichts anhaben können. Moskau schaut dem Westen in die Augen und fragt mit zynischem Lächeln: Wir haben Gas, und ihr? Wir sind aber nicht machtlos. Gestrige Verluste an Moskauer Börsen zeigen, wie stark dieses Land vom Westen abhängig ist. (...) Wie stark wir Russlands Verhalten beeinflussen können, hängt davon ab, ob Europa und Amerika solidarisch sagen, dass sie sich mit einer willkürlichen Teilung eines souveränen Landes nicht abfinden."

"die tageszeitung" (taz) (Berlin):

"Die Anerkennung (Abchasiens und Südossetiens) wird zunächst auf Russland und einige befreundete Staaten beschränkt, also - wie im Fall Nordzyperns - ohne rechtliche Wirkung bleiben. Ist der Akt der Anerkennung aber nicht der Auftakt für eine neue generell aggressive Politik der Rückgewinnung von einstmals (sowjet-)russischen Territorien? Will Wladimir Putin (...) das untergegangene Imperium aufs Neue errichten? Solche Spekulationen haben bisher keine Stütze in den Tatsachen. Zu unterschiedlich sind die Interessen wie die Kräfteverhältnisse zwischen den beteiligten Mächten in jedem der einstmals sowjetischen Territorien. Weshalb Südossetien/Abchasien nicht als Menetekel taugt. Jetzt die Verhandlungen über die Georgien-Krise einzustellen und auf eine allgemeine Konfrontationslinie zu Russland einzuschwenken wäre ein fataler Fehler."

"Frankfurter Rundschau":

"Wer darüber überrascht ist, kann in den vergangenen Monaten nicht zugehört haben. Seit Kosovo nicht. Die Aufwertung dieser einst serbischen Region zum 'Staat' hat den Herren an der Moskwa ein Argument geliefert, ob heute Medwedew oder damals Putin, (...) der seit langem angesagt hat, wie der russische Bär läuft: auf der Fährte der Großmacht, dem Beispiel der Bush-Regierung folgend im leicht trügerischen Bewusstsein, ebenso stark zu sein wie jene.

Es war ein Fehler, die Ankündigungen und Warnungen des damaligen russischen Präsidenten für bloße Rhetorik zu halten; eine Dummheit eigener Art, die administrativen Veränderungen im Verhältnis Moskaus zu den beiden abtrünnigen Regionen allenfalls nachrichtlich zur Kenntnis zu nehmen. (...) Nein, Freunde hat Russlands Führung sich damit nicht gemacht. Das war auch nicht ihre Absicht. Feindschaft kann aber nicht das dringende Gebot des Tages sein."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ):

"Diese Wende in der russischen Georgien-Politik ist ein Ergebnis der geopolitischen Konkurrenz im post-sowjetischen Raum - und davon, dass Russland nicht bereit zu sein scheint, den souveränen Staaten, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden sind, das Recht auf einen eigenen Weg zuzugestehen. Moskau hatte den Konflikt zwischen Georgiern sowie Südosseten und Abchasen schon Anfang der Neunzigerjahre dazu benutzt, Georgien in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu zwingen, den Zusammenschluss der meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion, von dem Tiflis ursprünglich nichts wissen wollte (...)

Die Moskauer 'Fünfte Kolonne' in Zchinwali ließ keinen Zweifel daran, dass das eigentliche Ziel des nationalen Befreiungskampfes der Südosseten die Aufnahme in die Russländische Föderation sei. Das könnte bald erreicht sein, und beide Gebiete könnten zugleich zu russischen militärischen Vorposten im Südkaukasus werden."

"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):

"Der Kreml gefällt sich momentan in Siegerpose, doch bei genauerem Hinsehen besteht die russische Führung aus Halbstarken. Die Anerkennung der beiden Kleinterritorien verspricht keinen direkten Nutzen und ist rein symbolischer Natur. Kaum ein anderer Staat dürfte sich diesem Schritt anschließen. Im Gegenteil, die Unterstützung für Georgien wird jetzt auch bei jenen Staaten wachsen, die bisher vor allem den Ausgleich mit Moskau suchten. Auch der Imageschaden für Moskau ist unmittelbar. Russland lässt das ohnehin dünne völkerrechtliche Mäntelchen seiner Militärinvasion in Georgien noch fadenscheiniger aussehen. Gerade der Vergleich mit Kosovo zeigt, wie sehr sich Russland von den außenpolitischen Normen des 21. Jahrhunderts entfernt hat.

Der Anerkennung Kosovos gingen langwierige Verhandlungen voraus. Erst als diese in eine Sackgasse führten und die UNO handlungsunfähig war, entschied sich eine große Staatengruppe, die Souveränität der Balkan-Republik anzuerkennen. Wie anders das russische Fait accompli - ein Militärschlag, dem eine einsame, mit niemandem koordinierte diplomatische Aktion folgt. Der fundamentale Unterschied liegt nicht zuletzt im Verfahren: hier ein Serben wie Kosovo-Albaner einbeziehender multilateraler Gesprächsmarathon, dort ein unberechenbarer Alleingang."

"Stuttgarter Zeitung":

"Heute schwimmt der russische Präsident Medwedew in Russland auf einer Welle begeisterter Zustimmung. Denn er hat den Russen gezeigt, dass sich ihr Land als starke Macht auf die Weltbühne zurückgemeldet hat, dass die Zeit der Demütigungen durch Amerika endgültig beendet ist. Auf dem Kaukasus hat Russland Fakten geschaffen, die niemand mehr ändern wird. Selbst wenn Südossetien und Abchasien international isoliert bleiben, so sind sie doch künftig dem Zugriff Georgiens entzogen und im russischen Machtbereich gelandet. Das ist ein Signal an andere Nachbarn Russlands, die nicht das Glück hatten, in die EU und die NATO aufgenommen zu werden."

"Basler Zeitung":

"Der Kreml könnte sich verrechnen. Georgiens politisch unfähiger Präsident hätte einen möglichst schnellen Abgang von der politischen Bühne verdient. Stattdessen hilft ihm Moskaus neo-imperialistische Arroganz wieder in den Sattel. Das Vorgehen dürfte andere Ex-Sowjetrepubliken ermuntern, ihr Heil in der Abkehr von Russland zu suchen. (...) Und kommt nicht nur George W. Bush, sondern auch sein Nachfolger zu dem Schluss, dass Russlands Vorgehen nicht tatenlos hingenommen werden darf, kann sich die Rechnung des Kreml als grobe Fehlkalkulation herausstellen."

"Nepszabadsag" (Budapest):

"Der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin hat die derzeitige Situation mit der Lage vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verglichen und Saakaschwili mit Gavrilo Princip, dem Mörder des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand 1914 in Sarajevo. Wir wissen aber aus der Geschichte, dass nicht das Attentat den Krieg zum Ausbruch brachte. Dafür waren kriegsbereite und zum Kompromiss unfähige Großmächte notwendig, die sich sicher waren, dass sie ihren Gegner niederringen. Diese Haltung sehen wir jetzt in Russland..."

"Rzeczpospolita" (Warschau):

"Georgiens Beispiel zeigt, dass die West-Integration vieler Staaten aus dem ehemaligen Ostblock zu spät in Erwägung gezogen wurde. Das hat zu lange gedauert. Wir haben die 'historischen Ferien' nicht genutzt - die kurze Zeit, als es im Osten keine gefährliche Großmacht wie Russland gegeben hatte. Das ist aber noch nicht das Ende. Moskau wird immer stärker. Die von den westlichen Politikern bevorzugte Politik der netten Gesten gegenüber Russland - Schlittenfahrten, Sauna-Besuche und lukrative Verträge - hat versagt. Russland ist ein Staat, der unter jedem Vorwand seine Nachbarn angreifen kann. Einen solchen Staat lädt man nicht in die elitären Vereine ein und lässt ihn nicht leichte Geschäfte machen. Das ist eine andere gefährliche Welt. Die Politiker im Westen müssen daran denken."

"Politika" (Belgrad):

"Russland hat Südossetien und Abchasien in dem Augenblick anerkannt, in dem die USA und die Mehrheit der EU Kosovo anerkannt haben, und nach dem unüberlegten Angriff Georgiens auf Südossetien (...) Damit wird die Scheinheiligkeit der westlichen Politiker deutlich, die sich gestern an die Grundsätze des internationalen Rechts und die Unantastbarkeit der anerkannten Grenzen erinnert haben - jene Grundsätze, die sie im vergangenen Februar vergessen hatten, als Pristina die Unabhängigkeit der Provinz Kosovo ausgerufen hat."

"Svenska Dagbladet" (Stockholm):

"Zu wenig, zu leise, mit allzu viel Verständnis und entschuldigend. So lassen sich die Reaktionen der Umwelt auf Russlands Angriff zusammenfassen. Jetzt nach der Anerkennung der abtrünnigen Provinzen bedarf es einer wesentlich schärferen Politik, um der russischen Herausforderung zu begegnen. Die Lehre besteht darin, dass Putin sich keinen Deut um substanzlose Appelle und Warnungen von außen schert. Der Begriff Offensive trifft das russische Agieren wohl am besten. (...) Wir müssen bereit sein, diesen Kampf anzunehmen, auch wenn er heißer wird. Alles andere würde bedeuten, dass Georgien im Stich gelassen und der Weg für noch mehr aggressive russische Machtpolitik freigemacht wird."

"El Mundo" (Madrid):

"Wenn jemand noch über die Motive Russlands bei der Entfachung eines Kriegs gegen Georgien gerätselt hat, sind diese Zweifel nun zerstreut. Moskau hatte seine Entscheidung von Anfang an getroffen. Der Schutz der Osseten vor einem Massaker war nur ein Vorwand, die Panzer in die abtrünnigen georgischen Provinzen einrollen zu lassen. Russland zieht mit militärischer Gewalt die Grenzen im Kaukasus neu. Die westliche Gemeinschaft bietet das peinliche Schauspiel, die Strategie der vollendeten Tatsachen verzagt mitanzusehen."

"La République du Centre" (Orléans):

"Eines ist sicher: Russland, das wir während der Olympischen Spiele vergessen hatten, nutzte die Situation, um seine Muskeln woanders zu zeigen. Das Schlimmste ist, dass Moskau bei seinen Eroberungsträumen unterstützt wurde - durch unverzeihliche Ungeschicklichkeiten. Indem er die Feindseligkeiten einleitete, hat der georgische Präsident Michail Saakaschwili selbst die Peitsche hingehalten, mit der er dann geschlagen wurde."

"Les Dernières Nouvelles d'Alsace" (Strasbourg):

"Die russischen Streitkräfte haben sichtlich keine Absicht, ihre strategischen Stellungen in Georgien zu verlassen. Und der Kreml ist entschlossen, die Ausweitung der NATO vor seinen Toren zu stoppen. Es macht Moskau bereits keine Angst mehr, von einem neuen Kalten Krieg zu sprechen - trotz der ersten wirtschaftlichen Folgen. Währenddessen verfestigen die USA ihre Präsenz in Europa. Die Einrichtung eines 'Raketenschirms' in Polen und Tschechien ist nur eine moderne Variante der verstärkten militärischen Präsenz. Soll man unter diesen Umständen, die schon eine Konfrontation bedeuten, die Positionen verhärten?" (APA)