Wien - Nach der am Dienstag bekanntgewordenen "Justizpanne" - die Staatsanwaltschaft Wien weist vehement die Bezeichnung "Justizskandal" zurück - übt nun auch Justizministerin Maria Berger (SPÖ) Kritik an der Vorgangsweise der Anklagebehörde. Diese hatte einen 39-jährigen Mann unter dem Vorwurf in U-Haft nehmen lassen, zwischen Sommer und Ende 2007 im Stadtpark mit Drogen gehandelt zu haben. Der vermeintliche Dealer saß in diesem Zeitraum allerdings eine längere Haftstrafe ab.

"Sehr bedauerlich"

"Das sollte nicht passieren, das ist sehr bedauerlich", kommentierte Berger am Mittwoch am Rand einer Pressekonferenz den Umstand, dass der Staatsanwaltschaft dieser Umstand entgangen war. Der Mann kam in weiterer Folge sieben Wochen in U-Haft, ehe er am Dienstag von sämtlichen Vorwürfen - auch jenem, im Februar 2008 in betrügerischer Absicht Hanftee als Cannabiskraut angeboten zu haben - rechtskräftig freigesprochen wurde.

Man habe bereits einen schriftlichen Bericht über die Vorgänge angefordert. Allenfalls wären disziplinäre Konsequenzen für die mit der Aktenführung betrauten Behördenvertreter möglich, so Berger.

Den Einwurf des Leiters der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Werner Pleischl, der gemeint hatte, die derzeitige "strukturelle Überlastung" bei den Anklagebehörden bringe notgedrungen eine gewisse Fehleranfälligkeit mit sich, ließ die Ministerin nur bedingt gelten: "Ob das eine hinreichende Erklärung ist, wage ich zu bezweifeln."


Acht Tage ohne Anwalt

Der 39-Jährige hatte acht Tage lang keinen Rechtsbeistand. Der gebürtige Araber, der zunächst in Verwahrungshaft genommen wurde, bekam binnen 48 Stunden seine Anklageschrift zugestellt und wanderte darauf in U-Haft. Dort gab er die Erklärung ab, auf einen Einspruch gegen die Anklage zu verzichten, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, sich mit einem Anwalt zu besprechen. Das Wiener Straflandesgericht genehmigte dem Asylwerber zwar am 10. Juli einen Verfahrenshelfer. Die Rechtsanwaltskammer bestellte erst am 16. Juli per Bescheid einen solchen.

Da es sich bei diesem Juristen um einen Spezialisten für Bank-und Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsgründungen handelte, trat die betreffende Kanzlei am 17. Juli den Fall an den Strafverteidiger Norbert Wess ab, ohne sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen: Ein durchaus üblicher Vorgang, da große Kanzleien, die keine Strafrechtsfälle übernehmen, regelmäßig auf sogenannte Substitute - Experten in Strafsachen - zurückgreifen, wenn die Kammer sie zu Verfahrenshelfern bestimmt.

Wess befand sich allerdings im Urlaub, als der Akt in seiner Kanzlei einlangte. Nach seiner Rückkehr besuchte der Verteidiger ab Ende Juli den 39-Jährigen mehrmals im Landesgerichtlichen Gefangenenhaus.

"Ich verstehe nicht, warum er in dieser Situation keinen Enthaftungsantrag gestellt hat", meinte Richter Friedrich Zeilinger am Mittwoch im Gespräch mit der APA. Zeilinger hatte über den Verdächtigen die U-Haft verhängt, wobei dieser ihm nicht gesagt habe, dass er während des in der Anklageschrift genannten Tatzeitraums eine längere Haftstrafe verbüßte und damit keinesfalls als vermeintlicher Drogen-Dealer in Frage kam.

"Pflichten offensichtlich nicht ganz richtig wahrgenommen"

"Mir hat er nur gesagt, dass er sich nicht schuldig bekennt und er sich die Vorwürfe nicht erklären kann", so Zeilinger, der im Hinblick darauf Versäumnisse auf Seiten des Verteidigers ortet: "Der hat seine Pflichten offensichtlich auch nicht ganz richtig wahrgenommen."

Darauf angesprochen, bemerkte Wess am Mittwochnachmittag gegenüber der APA, er habe nach Rücksprache mit seinem Mandanten sowohl von einem Einspruch gegen die Anklageschrift als auch einem Enthaftungsantrag Abstand genommen: "Er hat gemeint, das bringt eh nix."

Weiters habe sich der zuständige Richter zu diesem Zeitpunkt in einem mehrwöchigen Urlaub befunden und die Hauptverhandlung sei schon am 25. Juli auf den 26. August anberaumt worden: "Der Termin, wo sich alles aufklären wird, war damit absehbar." Zudem sei sein Mandant obdachlos und habe womöglich gar keine Enthaftung gewünscht: "Er hat draußen ja nix."

Der Mann, der vom 13. Februar 2006 bis zum 23. November 2007 durchgehend in Haft war, war am Dienstag im Straflandesgericht rechtskräftig vom Vorwurf freigesprochen worden, im Sommer 2007 im Stadtpark einem 16-Jährigen Cannabis überlassen zu haben. Der Bursch zog als Zeuge unter Wahrheitspflicht auch seine darüber hinausgehende Anschuldigung zurück, im Februar 2008 vom 39-Jährigen Hanftee erhalten zu haben, um diesen als Cannabiskraut zu verkaufen. Er müsse den Mann wohl verwechseln, so der 16-Jährige.

Entgegen der ursprünglichen Anordnung des Gerichts, den 39-Jährigen unverzüglich auf freien Fuß zu setzen, bleibt dieser überraschenderweise nun doch im Gefängnis: Erst heute, Mittwoch, wurde im Straflandesgericht ein Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 21. Juni bekannt, mit dem der Mann in Abwesenheit wegen Ladendiebstahls zu vier Monaten Haft verurteilt worden war. Die mit 6. August datierte Vollzugsanordnung war bis zuletzt nicht im Strafregister aufgeschienen.

Der Mann wird daher in Strafhaft überstellt. Die unberechtigterweise verhängte U-Haft wird ihm angerechnet, so dass er noch knapp zwei Monate absitzen muss. (APA)