Wien - Massive Kritik am derzeitigen Opernbetrieb üben zwei ansonsten sehr verschiedene künstlerische Persönlichkeiten in der neuen Ausgabe der österreichischen Monatszeitschrift "Bühne". "Die größte Gefahr sehe ich heute im 'Netrebkoismus'", sagt Staatsoperndirektor Ioan Holender in einem Interview. "Es geht nur noch um Events und das Rundherum. Wir sehen ja, was sich in Salzburg abspielt." Regisseur Martin Kusej findet in einem anderen Gespräch mit dem Fachblatt noch deftigere Worte: "Der Opernbetrieb ist eine reine Maschinerie, die eigentlich total kunstfeindlich ist."

Obwohl Kusej derzeit neben seiner Wiener "Weibsteufel"-Premiere (12. September im Akademietheater) für München Verdis "Macbeth" vorbereitet (Premiere: 2. Oktober) und im November Igor Strawinskis "The Rake's Progress" im Theater an der Wien inszeniert (Dirigent: Nikolaus Harnoncourt), sagt der künftige Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels: "Oper ist nur mehr sehr rudimentär kreativ und interessiert mich viel weniger als Schauspiel. Die Institution Oper treibt mich an die Grenzen meiner Toleranz. Im Grunde genommen kämpft man gegen eine 150 Jahre alte Pseudo-Kunst-Welt, einen gigantischen Zuckerlberg, der von reaktionären Menschen bevölkert und kontrolliert wird. Die modern denkenden Dirigenten, Regisseure und Sänger müssten sich dagegen verbünden, eine große Cruise Missile auspacken und den ganzen Betrieb wegblasen, um ganz neu anfangen zu können." Angesichts des Fehlens an Möglichkeiten, "in einer Oper etwas wirklich auszuprobieren" und allzu langfristiger Vorausplanung, wundere er sich, "dass dann trotzdem immer noch wunderbare Aufführungen mit tollen Sängern rauskommen".

Ioan Holender meinte in der "Bühne", die Sänger würden von Intendanten heutzutage zunehmend nur noch nach Medienecho und nicht nach sängerischer Qualität beurteilt und engagiert: "Intendanten verstehen oft nicht nur nichts von Stimmen, sie interessieren sich nicht einmal dafür. Jene, die eine Stimme wirklich beurteilen können, sind in den Häusern heutzutage eher auf der zweiten Ebene tätig. Intendanten werden aber nicht nur zum Spielball der Agenten, sondern auch der Medien." Während die derzeitige Subventionspolitik "skandalös" sei und ein Gesetz verabschiedet werde, "das alle Geschenke über 100 Euro als Bestechung kriminalisiert" ("Da verstehe ich schon, dass die Sponsoren nervös werden, da sie bald keine Möglichkeiten mehr haben, Geschäftspartner auf Opern- oder Konzertkarten einzuladen."), sei die derzeitige Höchstgage von 13.000 Euro immer schwerer haltbar. Nicht nur in Valencia oder Mailand zahle man mittlerweile viel mehr. "Die Agenturen warten ja schon darauf, dass ich endlich gehe, um höhere Gagen zu lukrieren", so der Staatsopern-Direktor. Zu den wenigen "starken Intendanten", die dem gegensteuern könnten, zählt Holender den Leiter der New Yorker Opern Met, Peter Gelb, den derzeitigen und den designierten Leiter der Pariser Oper, Gerard Mortier und Nicolas Joel, sowie Klaus Bachler in München, Bernd Loebe in Frankfurt und Stefan Soltesz in Essen. (APA)