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Der Vortrag als Form der Literatur, denn "lieber die Trugbilder der Subjektivität als der Schwindel der Objektivität" : Roland Barthes

Foto: AFP

Barthes liebäugelte damit, einen Roman zu schreiben. Es blieb bei fulminanten Vorlesungen über "Die Vorbereitung des Romans". Diese sind nun in einer Übersetzung aus dem Französischen  bei der edition suhrkamp erschienen.

Wien - Am 15. April 1978 erlebte der damals 62-jährige Roland Barthes auf einer Reise durch Marokko einen Moment, den er als Bekehrung beschreibt: "Traurigkeit, eine gewisse Langeweile, ununterbrochen dasselbe (seit einem Trauerfall vor kurzem), ein Überdruss, der sich auf alles erstreckt, was ich tue und denke [...]." Doch dann: "Aufblühen einer Idee: [...] in die Literatur, ins Schreiben eintreten; nichts mehr tun als das."

Bald ging am Collège de France das Gerücht um, der Professor wolle einen Roman schreiben, befeuert auch dadurch, dass der Verfasser so einflussreicher Texte wie Mythen des Alltags und Die Lust am Text im Wintersemester 1978/79 eine Vorlesung zum Thema Die Vorbereitung des Romans ankündigte.

Diese sollte sich schließlich über zwei Jahre erstrecken. Wenige Tage nach der letzten Sitzung war Barthes in einen Unfall verwickelt, am 26. März 1980 erlag er den Verletzungen. Einen Roman hat er nicht hinterlassen, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Dafür wurde soeben aus seinem Nachlass das Vorlesungsmanuskript veröffentlicht. Siehe da: Es entpuppt sich nicht nur als Feuerwerk an originellen Gedanken über Literatur und ist auch nicht nur fesselnder zu lesen als die meisten Romane - nein, man kann so weit gehen zu sagen: Die Vorbereitung ist bei Barthes schon der eigentliche Roman.

Es gelang ihm, seine professoralen Pflichten und seine schriftstellerischen Neigungen zusammenzuführen. Auffällig ist am Lehrstoff zunächst, dass sich der Semiotiker in seinen Vorlieben als erstaunlich konservativer Geist erweist. Die zeitgenössische Literaturproduktion widerstrebte ihm ("Romane, die ich als Rezensionsexemplare erhalte: nun gut, aber warum diese Geschichte unter so vielen anderen?" ). Als Maß aller Dinge galt ihm Proust, und nach Proust ließ er nichts mehr gelten. In der Recherche sah er den idealtypischen Roman, weil dieser sich auf eine einzige Erzählung beschränkte, und zwar "die eines Subjekts, das schreiben will" .

Das Begehren zu schreiben

Ähnliches schwebte Barthes für sein eigenes, nach Dante Vita Nova betiteltes Schreibprojekt vor, von dem er jedoch bald wieder abrückte, als ihm klar wurde, dass sein Gedächtnis nicht mit jenem Prousts konkurrieren konnte: "Mein Problem besteht darin, dass ich zu meinem vergangenen Leben keinen Zugang zu haben glaube; es liegt im Nebel, es ist blass von schwacher Intensität (ohne die es kein Schreiben gibt)."

Aber warum verspürte ausgerechnet der Mann, von dem der Legionen von philologischen Proseminaren überschattende Aufsatz Der Tod des Autors stammt, plötzlich selbst "das Begehren zu schreiben" ?

Ähnlich wie beim erklärten Vorbild Proust, dem mutmaßlich der Tod der Mutter als Anstoß für die Niederschrift der Recherche diente, trauerte auch Barthes um seine geliebte Mutter; und weil er ohne sie, mit der er sich eine Wohnung geteilt hatte, nicht wie zuvor weiterleben konnte, wollte er von anders leben: "ein ungeteiltes Leben im Schreiben".

So rückte in den Vorlesungen der Vortragende selbst in den Vordergrund. Barthes war dabei völlig klar, dass seine Ausführungen, die auch Abschweifungen über das Wetter, Tiere und Zen-Buddhismus beinhalteten, nicht unbedingt den wissenschaftlichen Kriterien all seiner Kollegen entsprechen mochten, weshalb er eingangs keck postulierte: "Lieber die Trugbilder der Subjektivität als der Schwindel der Objektivität."

Im ersten Jahr behandelte er den Schritt des Schriftstellers vom Leben zum Werk und vertiefte sich dazu in Praktiken des Notierens. Dabei nahm er einen langen Umweg über das Haiku, von dessen klarer Schönheit er seit einem Japanaufenthalt in den späten 1950ern fasziniert war und das er als "das höchste Gut des Schreibens" empfand, da es mit einem Minimum an Sprache wunderbar Eindrücke vermittelt.

Das Werk als Wille

Die zweite Vorlesungsreihe drehte sich um "Das Werk als Wille" und fokussierte auf den Schreibenden, der mehrere Prüfungen zu durchlaufen hat - die Wahl, den Zweifel, die Geduld und die Absonderung -, ehe am Ende ein Roman stehen kann: "Der Schriftsteller, eine komisch anzuschauende Gestalt: Er ist ein Getriebener, das manische Begehren hat etwas Lächerliches (allerdings auch etwas Großes, insoweit es Ausschließung, Einsamkeit bedeutet; etwas, das die Lacher nicht haben)."

Man klappt das Buch zu und ist geneigt zu behaupten: Angehenden Romanautoren bietet Die Vorbereitung des Romans, aus der man ewig weiter zitieren könnte, anregenderen Lehrstoff als alle Creative-Writing-Kurse und Literaturinstitute dieser Welt zusammen. Allein für Gedanken wie den folgenden muss man Barthes lieben: "Die Zukunft des Satzes: das ist ein Problem der Gesellschaft - um das sich im übrigen keine Zukunftsforschung kümmert." (Sebastian Fasthuber / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.8.2008)