Im Grab Tutanchamuns fanden sich diverse Bootsmodelle. Das Boot ist als Kultobjekt ein Symbol für die Reise des Verstorbenen ins Jenseits.

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Die Organe des toten Pharao wurden dem Leichnam entnommen, präpariert und in Miniatursärgen, sogenannten Kanopen, bestattet.

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Wien - Einen Monat lang haben Besucher in Wien noch Zeit, in die Welt Tutanchamuns einzutauchen, bevor die Ausstellung im Völkerkundemuseum schließt und die Exponate Europa verlassen. Unter die hunderttausenden bisherigen Besucher reihten sich auch Staatsgäste wie der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko ein.

Zu den Faktoren, die die Faszination an dieser Epoche ausmachen, gehören sicherlich die starke Ausrichtung der Kultur auf den Jenseitsglauben und die Zerrissenheit des Landes zwischen der traditionellen Religion mit zahllosen Gottheiten einerseits und der monotheistisch geprägten Religionsreform Pharao Echnatons auf der anderen Seite.

Als der gerade achtjährige Kindpharao Tutanchaton sein Amt im Jahr 1333 vor Christus antrat, war die Einheit seines Reiches in Gefahr: Sein Vater Echnaton hatte zu kurz regiert, um seine drastischen Reformen zu festigen. Mit der Entmachtung der Amun-Priesterschaft hatte sich der Herrscher viele Feinde geschaffen, seine neue Staatsreligion, der Kult der Sonnenscheibe Aton, war bei der Bevölkerung nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Kein Wunder, waren die Menschen des Alten Ägypten doch bereits seit Jahrtausenden an ihre zahlreichen anthropomorphen Götter gewöhnt.

Neue alte Verhältnisse

Unter der Leitung seiner zwei wichtigsten Beamten, des alten Wesirs Eje und des Generals Haremhab, die später zu seinen Nachfolgern werden würden, führte der junge Pharao schrittweise die alten Verhältnisse wieder ein und änderte auch seinen Namen zu Ehren des alten Reichsgottes Amun auf Tutanchamun.

In einem Dekret des Pharaos, der sogenannten Restaurationsstele, wird der Zustand der Tempel der alten Götter als Schutthaufen beschrieben, auf denen das Unkraut gedeiht: "Das Land machte eine Krankheit durch, die Götter, sie kümmerten sich nicht um dieses Land." Tut ließ die Tempel renovieren - bei dieser enormen Anzahl eine gewaltige Aufgabe.

Verwirrendes Pantheon

Kaum eine der antiken Zivilisationen weist ein so vielfältiges und verwirrendes Pantheon auf wie das Alte Ägypten. Praktisch jedes regionale Machtzentrum verfügte über eine eigene Mythologie traditioneller Hauptgötter, die zumeist in Paare und Familien gegliedert waren.

So herrschte Amun im oberägyptischen Theben mit der Muttergottheit Mut und dem gemeinsamen Sohn, dem Mondgott Chons, während in der alten Hauptstadt Memphis der Schöpfergott Ptah gemeinsam mit der löwenköpfigen Sachmet verehrt wurde.

Der Sonnengott Re gehörte seit frühesten Zeiten zu den mächtigsten Göttern, was schon dadurch deutlich wird, dass jeder Pharao den Beinamen "Sohn des Re" führte. Doch Re musste neben sich nicht nur den von Echnaton favorisierten Aton dulden: Um das Chaos perfekt zu machen, verehrten die Ägypter je nach Tageszeit und Sonnenstand auch noch die Sonnengötter Chepre, Harachte und Atum.

Der Überlieferung zufolge wurde Re jeden Abend von seiner Mutter, der Himmelsgöttin Nut, verschluckt, um am Morgen aufs Neue wiedergeboren zu werden.

In anderen mythologischen Beschreibungen rollt ein Mistkäfer, der Skarabäus, die Sonne wie eine Kugel aus Mist über den Himmel, oder der Sonnengott fährt in einem Boot über das Firmament.

Boote spielten im Leben des Volks am Nil als Haupttransportmittel eine extrem große Rolle. Als Kultobjekt symbolisierten sie die Reise des Verstorbenen ins Jenseits, was auch einer Abbildung der Realität entspricht: Nach dem Tod wurde der Pharao aus seiner Residenz am Ostufer über den Nil in sein Grab gebracht. Zur Grabausstattung Tutanchamuns gehörte daher auch eine Vielzahl diverser Bootsmodelle, von denen eines auch im Völkerkundemuseum zu sehen ist.

Die Nekropolen, die Königsfriedhöfe, lagen am Westufer des Nils, die Pyramidenanlagen des Alten Reichs genauso wie das Tal der Könige des Neuen Reichs. Dass die Ägypter im Westen das Jenseits vermuteten, ist nachvollziehbar: Dort verschwand am Abend die lebensspendende Sonne in der unendlichen libyschen Wüste.

Die wichtigste Rolle in der Mythologie spielte aber nicht Sonnengott Re, sondern ein anderer Sohn der Nut: Osiris, der Herrscher der Unterwelt. Dieser war zunächst ein Gott des Ackerbaus. Die Legende erzählt, dass er seinem Vater, dem Erdgott Geb, als König nachfolgte und die Menschen in der Kunst der Landwirtschaft unterwies. Doch sein Bruder Seth machte ihm den Thron streitig und erschlug ihn, den Leichnam zerstückelte er und verteilte ihn über das ganze Land.

Isis, die Schwester und Gemahlin des Osiris, suchte die Einzelteile ihres Mannes, setzte sie wieder zusammen und balsamierte die Leiche zu einer Mumie ein. Ein Körperteil, der Penis, blieb jedoch unauffindbar, was für die Göttin aber kein Hindernis darstellte, mit dem Ermordeten den Sohn Horus zu zeugen.

Absurd, gewiss, andererseits darf an religiöse Vorstellungen natürlich kein rationaler Anspruch gestellt werden. Dem Vergleich mit neuzeitlichen religiösen Dogmen wie der unbefleckten Empfängnis hält diese Erzählung durchaus stand.

Rückzug in die Unterwelt

Osiris überließ Horus die irdische Macht und zog sich als König in die Unterwelt zurück. Diese Handlung spiegelt sich bei der Thronfolge im Pharaonenreich wieder: Der neue König erbt als Inkarnation des Horus den Thron, während der verstorbene Pharao zu Osiris wird. Um die Auferstehung des Toten zu garantieren, musste allerdings der Körper erhalten werden, da die Seele dorthin wieder zurückkehrte.

Die Zerstörung des Körpers bedeutete hingegen den endgültigen Tod, weshalb der Mumifizierung, bei der dem Leichnam in aufwendigen Prozeduren die Organe entnommen wurden, so große Bedeutung zukam. (Michael Vosatka/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 8. 2008)