Die Entzauberung des angeblich so liberalen neuen Mannes im Kreml, Dmitri Medwedew, geht schnell. Er hatte sich vor kurzem gegen den von ihm selbst beklagten "Rechtsnihilismus" in Russland ausgesprochen und den deutschen Außenminister mit Beteuerungen von "Freiheit und Recht" als "Grundlage staatlichen Handelns" beeindruckt.

Dass Medwedew den Militärschlag gegen Georgien und die formelle Anerkennung der abtrünnigen Provinzen im Auftrag des wahren Chefs, Wladimir Putin, voll mitträgt, bestätigt, dass er nur das "schöne Gesicht" jener KGB-Seilschaft ist, die die Zügel nicht aus der Hand geben will. Nicht nur in den baltischen Staaten geht die Angst um. Alle Länder, die dank der "größten geopolitischen Katastrophe des Jahrhunderts" (so Putin über den Zusammenbruch des Sowjetreiches) frei geworden sind, wissen, was der imperiale Großmachtanspruch des Kremls bedeutet.

Bundeskanzlerin Merkels Ruf nach Stärkung der Bündnissolidarität der Nato und die Einberufung des EU-Gipfels durch die französische Präsidentschaft zeigen jedenfalls, dass Berlin und Paris versuchen, in der Nato und in der EU gemeinsamen Handlungswillen zu erzielen. Es gibt freilich im Westen Wirtschaftsführer, Politiker und auch Journalisten, die, aus ganz unterschiedlichen Gründen, bisher Verständnis für die triumphale politische Elite Russlands und ihre aggressiven Schachzüge zeigten. Zu diesen gehört Ex-Kanzler Schröder, als Aushängeschild jenes russischen Gazprom-Konzerns, der laut Spiegel im Deutschlandgeschäft auf Ex-Stasi-Spitzel setzt. Auch der jetzt als "liberaler" Spitzenkandidat Nr. 2 auftretende Baumultimillionär Haselsteiner hatte in einem denkwürdigen Standard-Interview (19.5.2007) mit Renate Graber nicht nur für seinen neuen Geschäftsfreund, den Oligarchen Deripaska, sondern für die Russen im allgemeinen geschwärmt: "Das Misstrauen gegenüber Russland" sei "nicht mehr zeitgemäß". Er wolle sich bei dem "jüdischen Netzwerk, das die Oligarchen darstellen, nicht einmischen."

Auf die Frage zu dem im Oktober 2003 verhafteten und wegen Steuerhinterziehung und Betrugs zu acht Jahren Haft verurteilten Chef des inzwischen zerschlagenen Erdölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, bemerkte der Kärntner Unternehmer nur spöttisch: "Anders als Chodorkowski früher weilt Deripaska nicht ständig in Israel und klagt dort, wie schlecht er behandelt wird in Russland"...

Das Schicksal des berühmtesten Häftlings Russlands, der in Wirklichkeit für sein entschlossenes Engagement für Demokratie und Zivilgesellschaft bestraft wurde, wird als Lackmus-Test für die von Medwedew versprochene "Rechtsstaatlichkeit" angesehen. Sein Begnadigungsgesuch wurde abgelehnt. Es werden sogar neue Anklagen vorbereitet. Auch in diesem Fall hat Medwedew die von ihm bei seinem jüngsten Besuch in Deutschland indirekt geweckten Hoffnungen bitter enttäuscht. Jene russischen Oligarchen, die ihr Vermögen seinerzeit mit ähnlichen Methoden geschaffen haben, aber dem Kreml dienen, dürfen freilich weiterhin ungestört Palais an der Riviera und in Wien, englische Fußballmannschaften und deutsche Großunternehmen erwerben. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 28.8.2008)