Scheidungswaisen im Dilemma: In verfeindeten Familiensystemen erhalten sie oft den geheimen Auftrag, Mutter oder Vater zu rächen.

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Angesichts der steigenden Scheidungsraten gibt es heute zahlreiche

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Kinderbücher zum Thema "getrennte Eltern".

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Sie sollen helfen, die Strategien des Ausweichens und Schweigens aufzubrechen.

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Reinhard Sieder: "Patchworks - das Familienleben getrennter Eltern und ihrer Kinder" 420 Seiten Klett-Cotta, Frühjahr 2008

Die jüngst berichteten Zahlen überraschen niemanden mehr. Wer hätte anderes erwartet: Von 2000 bis 2007 kletterte die Gesamtscheidungsrate von 43,1 auf fast 50 Prozent. Die Zahl der pro Jahr betroffenen Kinder hingegen fiel von 22.271 auf 21.061, ein einfacher Effekt der gesunkenen Geburtenraten. Wie verändern aber Scheidungen das Zusammenleben von Eltern und Kindern? Produziert die Gesellschaft tatsächlich jedes Jahr mehr als 20.000 "Scheidungswaisen"? Verlieren die Kinder einen Elternteil - oder gestalten Eltern und Kinder das Familienleben neu?

An einer Ausgangsbedingung ist nicht zu rütteln: Kinder lieben ihre Eltern und wollen sie möglichst lange behalten. Sie wollen die Trennung der Eltern nicht. Wenn sie dennoch geschieht, wollen sie irgendwie mit beiden Eltern leben. Deshalb haben Eltern die Pflicht, sorgsam zu erwägen, wie sie nach der Scheidung ein Familienleben des Kindes mit beiden Eltern organisieren wollen. Zunächst geht es - ganz pragmatisch - um die geeignete Wohnform. Doch verbinden sich mit jeder Wohnform spezifische Möglichkeiten, die Beziehungen des Kindes zu Mutter und Vater und zu möglichen Geschwistern zu gestalten. Die folgende Checkliste kann Eltern dabei helfen, die richtige Wohnform zu wählen.

Zunächst sollten sie gemeinsam erörtern: Spricht etwas dagegen, dass unser Kind abwechselnd bei Mutter und Vater lebt? Dass es also zwei Zuhause erhält (Modell Doppelresidenz)? Wichtig ist hier, dass Mutter und Vater abwechselnd die elterlichen Aufgaben voll und ganz übernehmen.

Doppelresidenz oder Nest

Oder spricht etwas für das sogenannte Nest-Modell? Bei dieser Variante bleiben die Kinder in der Familienwohnung, Vater und Mutter beziehen eigene Wohnungen und kehren abwechselnd für eine Woche, zwei Wochen oder ein Monat in das Nest zurück, um hier mit den Kindern zu leben und für sie zu sorgen. Das Nest-Modell bietet sich an, wenn mit der ehelichen Wohnung besondere Vorteile für das Kind verbunden sind, wie die Integration in das nachbarliche Umfeld, die Haustiere, die Nähe zu Kindergarten und Schule etc. Ein Nachteil sind die hohen Kosten. Neben dem Wohnsitz, der zum Nest der Kinder wird, müssen zwei weitere Wohnsitze für die getrennten Eltern finanziert werden.

Erscheint weder die Doppelresidenz noch das Nest realisierbar, bleibt die Möglichkeit, bei jenem Elternteil, der den Familienhaushalt verlässt, eine Besuchsfamilie einzurichten. Das Kind kann sich auch hier seiner beiden Eltern sicher sein, sofern sich der besuchte Elternteil (meist der Vater) hinreichend Zeit nimmt und ein eigenes Kinderzimmer oder zumindest eine Spiel- oder Lernecke einrichtet. Da die Besuchsfamilie im Interesse des Kindes und der Eltern-Kind-Beziehung alltägliche Züge annehmen soll, empfiehlt sich, dass das Kind jeweils über mehrere Tage hier wohnt.

Die meisten Eltern entscheiden sich heute für die Besuchsfamilie, doch die Motive dafür sind sehr verschieden. Vielen scheint es natürlich, dass das Kind überwiegend im Haushalt der Mutter lebt. Sie gehen davon aus, dass die Mutter auch künftig den weitaus größeren Teil der Eltern- und der Hausarbeit leistet. Nur wenige Eltern überlegen: Wer von uns beiden kann am besten garantieren, dass das Kind regelmäßig Mutter und Vater sehen wird? Wer kann aufgrund seines Wohnortes, seiner Berufsarbeit und seines Lebensstils dem Kind die Fortführung seiner übrigen sozialen Kontakte (Freunde, Schule etc.) gewährleisten? Oft, aber nicht immer, wird es die Mutter sein.

Ist die Entscheidung für die Besuchsfamilie gefallen, sollten die Eltern darüber nachdenken, wie der besuchte Elternteil vom anderen in seiner Elternarbeit unterstützt werden kann. Bei der Aushandlung der Besuchstage, bei der Planung von Urlauben usw. sollte auf seine Bedürfnisse und Möglichkeiten Rücksicht genommen werden. Stehen beide Eltern voll hinter der Besuchsfamilie, wird sich das Kind bald in beiden Haushalten wohlfühlen. Werden aber die Eltern inkonsequent, etwa weil der Vater andere Verpflichtungen wichtiger nimmt, verliert die Besuchsfamilie ihren institutionellen Charakter und die Unsicherheiten des Kindes nehmen wieder zu.

Beschränken sich die Besuche des Kindes beim Vater oder, seltener, bei der Mutter auf wenige Stunden pro Woche, kann zwar der Anspruch des Kindes auf beide Eltern erfüllt werden, doch hängt dies von der Gestaltung der gemeinsamen Stunden ab. Das Risiko, dass sie misslingt, ist relativ hoch. Dieses Modell bevorzugen zum einen Männer, die eine zeitlich extensive und anstrengende Berufsarbeit ausüben und meinen, sich mehr Vaterarbeit nicht leisten zu können, zum zweiten Mütter, die ihre Kinder eher nicht mit dem Expartner teilen wollen, zum dritten aber auch Eltern, die sich nach der Trennung feindselig gegenüberstehen.

Bei strittigen Scheidungen (das sind 20 Prozent aller Scheidungen) wird das Modell der einige Stunden dauernden Besuche des Kindes beim Vater vom Pflegschaftsgericht dekretiert. Fast immer erklärt das Gericht den Haushalt der Mutter zum Hauptwohnsitz des Kindes. Dass auch gut kooperierende Eltern dem Gericht einen Hauptwohnsitz des Kindes erklären müssen, wenn sie die "gemeinsame Obsorge" erhalten wollen, leugnet die Möglichkeit von zwei Zuhause und ist ein reformbedürftiges Element im österreichischen Familienrecht.

Der Vater erhält nur ein auf Tage oder Stunden limitiertes Besuchsrecht. In der Folge strittiger Scheidungsverfahren zeigen sich viele der davon betroffenen Männer als unzuverlässig. Sie erscheinen immer wieder einmal nicht zu vereinbarten Treffen, wissen in den wenigen Stunden mit ihrem Kind nichts anzufangen, leisten die vereinbarten Alimente nicht, und so fort. Frauen versuchen den nächsten Besuch des Kindes beim Vater unter Vorwänden zu verschieben oder sagen ihn ab. Leiden sie unter der Unzuverlässigkeit oder gar unter Gewaltdrohungen des Expartners, bekämpfen sie verständlicherweise das "Besuchsrecht". Die Beziehung von Vater und Kind läuft durch wiederholte Enttäuschungen Gefahr, abgewertet und ausgedünnt oder vollends abgebrochen zu werden.

Dass Familienleben und Haushalt in der Perspektive des Kindes nicht mehr zusammenfallen, beunruhigt zunächst fast jedes Kind, unabhängig davon, wie die Eltern kooperieren. Wenn es aber erlebt, in zwei Haushalten von Mutter und Vater zuverlässig umsorgt zu werden, findet es meist wieder Ruhe und Sicherheit. Solche Kinder sagen aus ihrer Erfahrung: "Ich habe zwei Familien: eine bei meiner Mutter und eine bei meinem Vater." Oder auch: "Wir haben zwei Wohnungen, aber wir sind eine große Familie." Diese Erfahrung des Kindes ist sowohl in der Doppelresidenz als auch in der gut organisierten Besuchsfamilie und mit Einschränkungen auch im Nest möglich. Sie setzt die Übereinstimmung der Eltern in der Wahl des Modells und danach deren freundschaftliche oder zumindest sachliche Zusammenarbeit voraus.

In diesen Arrangements finden wir auch einen Teil jener Männer, die oft als "neue Väter" bezeichnet werden, weil sie mehr und intensivere Elternarbeit leisten als die "Miterzieher", die in der Mehrzahl aller Familien nur die Assistenten ihrer Ehefrauen sind. "Neue Väter" nehmen ihre Vaterarbeit ähnlich ernst wie ihre Berufsarbeit, entlasten mit ihrer Elternarbeit die Mütter und werden für ihre Kinder präsent und erlebbar. Neben allen Schwierigkeiten, die eine Trennung der Eltern mit sich bringt, wirkt sie in solchen Fällen auch emanzipierend. Mann, Frau und Kind befreien sich tendenziell aus den Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmustern des Patriarchats. Die seit Jahrzehnten beobachtete und beklagte "Unsichtbarkeit der Väter" (A. Mitscherlich) wird in solchen Fällen nach der Trennung der Eltern durch die Gründung eines eigenen Vater-Kind-Haushalts aufgehoben.

Welche Strategien sind grundlegend falsch? Der wohl schwerste Fehler ist, wenn Mutter oder Vater dem Kind den anderen Elternteil ohne hinreichende Gründe entziehen. Dass der Kampf von Frauen gegen Expartner, die wiederholt körperliche Gewalt androhen oder ausüben, berechtigt ist, steht außer Frage. Allen jenen Frauen aber, die im publizistischen Schatten häuslicher Gewalt ohne einen solchen Anlass den Kontakt des Vaters zu seinem Kind bekämpfen, sei gesagt: Sie verletzen ein Menschenrecht des Vaters und ein Menschenrecht des Kindes und überdies (wenn auch meist folgenlos) geltendes Eltern- und Kindschaftsrecht.

Über die Auswirkungen eines Vater-verlustes herrschte lange Zeit Uneinigkeit. Die feministische Debatte der 1970er- und 1980er-Jahre redete sie naturgemäß klein. In letzter Zeit nimmt auf der Grundlage der Säuglings-, Kindheits- und Jugendforschung die Wertschätzung des Vaters wieder deutlich zu. Zweifellos können Kinder auch ohne Beziehung zum Vater aufwachsen und lebenstüchtig werden. Tausende Kinder, die ohne ihre Väter aufgewachsen sind, beweisen es. Doch ebenso sicher ist, dass eine warmherzige und zuverlässige Vaterbeziehung das Kind für alle Herausforderungen stärkt.

Nicht erst nach der Trennung, aber besonders dann neigen Eltern dazu, ihre Kinder besonders eng an sich zu binden. Das Kind kann dabei psychisch und sozial überlastet werden. Drei Varianten sind zu unterscheiden: Erstens die Neigung eines Elternteils, das Kind in der ersten Zeit nach der Trennung in die Rolle eines Lebenspartners zu drängen. Das Kind kann davon zwar profitieren, wenn es für seine Leistungen Liebe und Wertschätzung erhält. Doch erleidet es auch Nachteile, wenn seine Beziehungen zu anderen Kindern oder zum anderen Elternteil blockiert werden. In verfeindeten Familiensystemen finden wir, zweitens, den überfordernden Auftrag an das Kind, die Mutter oder den Vater zu rächen, sie aus ihrer Verzweiflung zu retten oder die vermeintliche Schuld/ Unschuld eines Elternteils zu bezeugen. Drittens ist - vor allem in Mutter-Kind-Familien, die nach Scheidungen entstehen - mitunter die Umkehrung der Hierarchie von Elternteil und Kind zu beobachten: Das Kind soll die Mutter für den erlittenen Verlust wie ein Elternteil trösten.

"Vergiss deinen Vater!"

Zusammenlebende wie getrennte Elternteile delegieren das Kind, das heißt sie statten es bewusst und unbewusst mit Aufträgen aus; das ist so gut wie immer der Fall - und oft kein Problem. Doch getrennte und dauernd verfeindete Eltern neigen zu einer besonderen, kontradiktorischen Delegation. "Erzähle uns genau, wie es in der anderen Familie zugeht! Aber erzähle ihnen nichts über uns!", sagt beispielsweise die Mutter zum Kind und ahnt nicht, dass der Vater auf der anderen Seite genau dasselbe verlangt. "Vergiss deinen leiblichen Vater und nimm nicht ernst, was er sagt!", sagt die Mutter zum Kind. "Du bist und bleibst mein Kind! Also höre auf mich!", sagt hingegen der Vater. Das Kind kann solche einander widersprechende Aufträge unmöglich erfüllen.

Es entwickelt Strategien des Ausweichens und Schweigens und legt sich Erzählungen von Teilwahrheiten zurecht. So erscheint es den Eltern und deren neuen Partnern bald als unehrlich, treulos oder verstockt. Den oft von unbewussten Schuldgefühlen geplagten Eltern, die noch mehr als andere Eltern psychologisieren, scheint es einen "Scheidungsknacks" erlitten zu haben. Sie wollen es disziplinieren oder einer psychotherapeutischen Behandlung zuführen. Dass sie die Schwierigkeiten des Kindes selbst erzeugen, sehen sie meistens nicht. (Daher wäre eine Familientherapie angemessen, die das soziale System als Ganzes in den Blick nimmt.)

Ein anderer typischer Fehler ist, dass ein Elternteil seinen neuen Ehe- oder Lebenspartner auffordert, dem Kind ein besserer oder rettender Elternteil zu sein und darüber den Expartner "vergessen" zu machen. Doch der neue Partner kann solches unmöglich leisten. Versucht er es doch, stößt er meist auf den Widerstand des Kindes, das seinen Vater oder seine Mutter weder abgewertet noch ersetzt wissen will.

Niemand kann das Kind des Partners / der Partnerin von heute auf morgen wie sein eigenes Kind lieben! Stattdessen sollte man sich besser um den behutsamen Aufbau einer Freundschaft bemühen. Wenn der neue Partner über den abwesenden Elternteil grundsätzlich wertschätzend spricht und alles vermeidet, was ihn aus seiner Elternarbeit verdrängen könnte, wird das Kind ihn dafür wertschätzen, irgendwann vielleicht lieben! Aber eben doch anders, als es seine beiden Eltern seit seiner frühesten Kindheit zu lieben gelernt hat.

Und wohin mit dem Kind?

Neu gebildete Paare mit Kindern aus vorherigen Ehen oder Lebenspartnerschaften haben anfangs eine besonders subtile Schwierigkeit: Bei jedem kleinen oder großen Konflikt stellt sich der leibliche Elternteil vor sein Kind, weil er meint, es verteidigen und schützen zu müssen. Das ist die schwerste Zeit für den neuen Partner. Mann und Frau kennen das Phänomen zwar im Grunde aus früheren Familien: In der Triangel von Frau, Mann und Kind bilden sich immer wieder Dyaden, und einer, oft der Mann, wird für kurze Zeit ausgeschlossen. Doch das Wissen darum hilft wenig, wenn dem Paar die gemeinsame Erfahrung der Bewältigbarkeit solcher Konflikte fehlt.

Hinzu kommt das für die Folgefamilie spezifische Phänomen, dass manches Kind gegen den neuen Lebenspartner des Elternteils intrigiert, weil es die Trennung der Eltern noch nicht akzeptieren kann. Manche Paare scheitern beinahe oder auch tatsächlich in dieser Phase. Andere kommen auf die Idee, ein gemeinsames leibliches Kind würde sie vor der Wiederholung solcher Konflikte bewahren und helfen, zu einer "wirklichen Familie" zusammenzuwachsen.

Hat die Liebe zu einem neuen Partner eine Chance? Entgegen einer verbreiteten Rhetorik, die den getrennten Eltern ins Gewissen redet, als hätten sie jedes Recht auf eigenes Glück verspielt, ist zu raten: Verschaffen Sie sich mit Ihrem neuen Partner Eigenzeit, sonst scheitern Sie an den Mühen des Familienlebens, die Sie - im Unterschied zu jungen Erstehen - von Anfang an haben! Unternehmen Sie auch immer wieder etwas zu zweit: Zu zweit mit einem Kind, das die neue Konstellation erst meistern muss. Aber auch zu zweit als Paar! Sie fragen skeptisch: Und wohin mit dem Kind? Nun, da ist ja auch der zweite leibliche Elternteil, bei dem das Kind nach dem Modell, das Sie gewählt haben, abwechselnd lebt. Nützen Sie das neu entstandene System aus zwei zusammenhängenden Familien in zwei Haushalten! Dass das Kind tage- oder wochenweise im anderen Haushalt lebt, ist Ihre Chance! Eine Chance, die übrigens die junge Erstfamilie in der Regel nicht hat.

Es gibt klare Hinweise, dass manche Eltern in Erstfamilien unter anderem am Verlust ihrer Eigenzeit durch eine allzu okkupierende Elternschaft scheitern. Nur ein Paar, das seine Chance auf Eigenzeit nützt, wird in Bezogenheit wachsen und die anfängliche Liebe in eine dauerhaftere Gefährtenliebe verwandeln können. Auf das Gleichgewicht von Elternzeit und Paarzeit ist noch stärker zu achten, wenn beide Partner Kinder aus vorherigen Familien bei sich haben und vielleicht auch noch gemeinsame leibliche Kinder bekommen.

Die schon erwähnte Hoffnung, dass ein gemeinsames leibliches Kind eine "ganz natürliche Familie" entstehen lasse, erfüllt sich nicht. Sie ist Ausdruck des christlich-romantischen Familienmythos. Schon die Erstfamilie funktioniert nicht von Natur aus. Und nach Trennungen neugebildete Folgefamilien werden mit der Geburt leiblicher Kinder der Paare erst richtige Patchworks.

Patchworks funktionieren umso besser, je flexibler sich die Beteiligten auf die wechselnden Konstellationen einstellen können. Mann und Frau leben einige Tage mit ihren und seinen und den gemeinsamen Kindern. Wenn dann Kinder für einige Tage zu ihren anderen Elternteilen ziehen, leben Mann und Frau mit ihrem gemeinsamen Kind, ehe die auspendelnden Kinder wieder zurückkehren. Das rege Kommen und Gehen stimuliert auch die gemeinsamen Kinder des Paares. Dabei bleibt die komplexe Struktur des Familiensystems mehr oder minder präsent. Auch ein Expartner, oft die beiden Expartner von Mann und Frau, manchmal auch Großeltern zählen dazu, sei es, weil das Kind immer wieder von seinem abwesenden Elternteil spricht, oder weil man mit ihm regelmäßig telefoniert, um das Wochenende oder das nächste Geburtstagsfest zu organisieren; oder weil Großeltern Kinder für einige Tage in ihren Haushalt aufnehmen. In gut gelingenden Fällen zeigt sich das Familiensystem bei Kinder- und Familienfesten in all seiner bunten Lebendigkeit.

Dass dies nicht mehr die alte (klein)bürgerliche Festung Familie ist, liegt auf der Hand. Die Grenzen des Haushalts sind nicht die Grenzen des Familienlebens, vor allem nicht für die Kinder. Wie sehr Erwachsene und Kinder zusammengehören, erweist sich jeden Tag aufs Neue - und immer ein bisschen anders. Das ist keine schlechte Chance für die Entwicklung sozialer, kognitiver und psychischer Fähigkeiten der Kinder und einer fein abgestuften Elterlichkeit von Mann und Frau. (Reinhard Sieder, Der Standard Print-Ausgabe, 30./31.08.2008)