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Der Navy-Pilot John McCain am 26. Oktober 1967, als er nach dem Abschuss seines Fliegers von Vietnamesen in der Nähe von Hanoi gefangen genommen wird.

Foto: AP/Library of Congress

Wer sehen will, wie sich die Flottenmacht USA selbst feiert, muss nach Annapolis fahren. In der Naval Academy erzählen Museumsführer zu jeder Kanone patriotische Geschichten. Sie handeln von Seeschlachten, vor Havanna, vor Manila. Es sind Geschichten einer aufstrebenden Macht, die im 19. Jahrhundert die Kanonenbootpolitik als Waffe entdeckte.

Wie zu einem Schrein führen breite Treppenstufen hinauf ins Prunkstück der Kaserne, in den Festsaal der steingrauen Bancroft Hall. Kronleuchter, Schiffsgemälde, eine Ehrentafel. Den Namen McCain sucht man dort oben vergebens, man findet ihn unten im Parterre, in einem Nebenraum. Fast verlegen lassen einen die Hausherren wissen, dass auch John Sidney McCain Absolvent der Academy war. 1958. Er war einer der Schwächsten seines Jahrgangs, Nummer 894 von 899.

Neulich war er wieder zu Gast in der Schule, zu deren Ritualen es gehört, die Kadetten einen mit Schmalz eingeriebenen Obelisken erklimmen zu lassen. McCain hielt eine launige Rede. "Meine Jahre an der Akademie sind weder wegen exemplarischer Tugendhaftigkeit noch wegen akademischer Leistungen notierenswert" , scherzte er, "eher wegen der imposanten Liste von Minuspunkten."

John McCain stammt aus einer Familie zäher, kleiner Haudegen, die seit drei Generationen zur militärischen Elite der USA zählt. Nach Annapolis musste er, weil sein Großvater Flottenadmiral gewesen war und sein Vater auf dem Wege dahin, es zu werden. Er hatte Erwartungen zu erfüllen. Er habe sich dafür revanchiert, schreibt er in seinen Memoiren, "durch einen Vierjahreskurs in Aufmüpfigkeit und Rebellion" . Statt zu strebern, kletterte er über die Mauer, um in der Stadt wilde Partys zu feiern.

Seine rebellische Natur half ihm, Vietnam zu überleben, die fünfeinhalb Jahre im "Hanoi Hilton" , dem Kriegsgefangenenlager in der Hauptstadt Nordvietnams. Am 26. Oktober 1967, beim 23.Flug, bei dem der Marinepilot McCain Bomben ausklinkte, wurde sein Flugzeug von einer Luftabwehrrakete getroffen. Als er sich aus der Maschine katapultierte, brach er sich beide Arme und das rechte Knie. Er landete in einem See, Zivilisten zogen ihn ans Ufer, prügelten auf ihn ein. Eine Krankenschwester und eine Armeepatrouille retteten ihn. Im "Hanoi Hilton" wurde er gefoltert und in Einzelzellen gesteckt, dennoch schlug er das Angebot aus, als Prominentensohn vorzeitig freigelassen zu werden (sein Vater war damals Kommandeur der Pazifikflotte). Es hätte gegen den Ehrenkodex verstoßen. Heute ist dies die Geschichte, die viele vom Kriegshelden McCain sprechen lässt.

Diesen Trumpf spielt der Veteran oft und gern aus, etwa wenn er sagt, er habe damals nicht die Chance gehabt, mit den Blumenkindern in Woodstock im Gras zu liegen. "I was tied up" , sagt er, was ein Wortspiel ist. Es bedeutet, dass er keine Zeit hatte, aber auch, dass er gefesselt war.

Taube und Falke

Die Erfahrung Vietnams ließ McCain zu einem Politiker werden, der beides war, sowohl Taube als auch Falke, genauso, wie er immer auch Rebell und Opportunist zugleich war. 1983, als Ronald Reagan den Einsatz von Marinesoldaten in der Bürgerkriegsrepublik Libanon verlängern wollte, gehörte er zu den Parlamentariern, die Nein sagten. "Welche Interessen haben wir im Libanon? Sie sagen, wir sollen den Frieden erhalten. Welchen Frieden?" 20 Jahre später, vor dem Einmarsch in den Irak, rührte er laut die Kriegstrommeln.

Der Rebell McCain stimmte gegen die Steuerkürzungen seines Parteifreundes George W. Bush. Der Opportunist McCain verspricht, die 2010 auslaufenden Steuersenkungen unbefristet zu verlängern. Der Rebell verbündete sich mit dem Demokraten Russell Feingold, um den Einfluss von Lobbyisten auf die Wahlkampffinanzierung zu schmälern. Der Opportunist beschäftigt Randy Scheunemann, einen außenpolitischen Berater, der 800.000 Dollar von der Regierung Georgiens kassierte.

Eigentlich sei der Mann ein lebender Widerspruch, bilanziert der Biograf Matt Welch. "McCain hat diebische Freude daran, seinen eigenen Verbündeten zu erzählen, was sie nicht hören wollen." (Frank Herrmann aus Annapolis/DER STANDARD, Printausgabe, 1.9.2008)