Sofia - Den ganzen Sommer über haben sie mobilgemacht und versprechen dem Regierungschef nun einen "heißen Herbst": Bulgariens Nationalisten, Pensionisten und Milchbauern gehen in Sofia auf die Straßen und sammeln Unterschriften für Neuwahlen. Milcherzeuger und Viehzüchter blockieren Straßen, um höhere Subventionen zu erzwingen. Die Oppositionspartei Ataka (Angriff) macht mit einem «Volksparlament» in Sofias Stadtmitte täglich Front gegen die Regierung von Premier Sergej Stanischew.

"Wir haben bereits mehr als 40.000 Unterschriften für den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen gesammelt", sagt eine Ataka-Aktivistin aus Nowa Sagora. "Die Mafia regiert das Land», wiederholt sie das beliebte Hauptargument von Ataka-Chef Wolen Siderow, der auch Abgeordneter im "richtigen" Parlament ist. Siderow kommt jeden Nachmittag zu den Sitzungen des "Volksparlaments", dessen Mobiliar aus zehn weißen Tischen und zwei Dutzend Stühlen sowie einem überdimensionierten Fernsehgerät besteht.

Debatten auf der Straße

In unmittelbarer Nähe des Präsidialamtes und des Regierungssitzes diskutieren Anhänger und Passanten - manchmal auch Touristen - über die Probleme des Landes und der Menschen. "Allgegenwärtige Korruption", "unverschämt reiche Politiker", "kriminelle Privatisierung", "niedrige Renten", "steigende Preise", lauten die Schlagworte. "Wir hoffen, dass das Volk erwacht", sagt ein junger Mann in einem schwarzen Uniform-T-Shirt mit der Aufschrift "Ataka".

Der Unmut gegen die Regierung erreicht drei Jahre nach ihrem Amtsantritt einen neuen Höhepunkt. Angesichts der ungebremsten Korruption in dem Balkanland hatte die Europäische Union erst Ende Juli Finanzhilfen von rund einer halben Milliarde Euro gestoppt. Doch die Regierung konnte im Parlament auch das sechste Misstrauensvotum überstehen. Inzwischen vertrauen nur noch 13 Prozent der Bevölkerung der Regierung, hat das Institut MBMD ermittelt. Den neuen Tiefstand hat nicht zuletzt die Inflation von über 14 Prozent verursacht.

Doch Premier Stanischew bleibt gelassen. Auf einem Fest im Balkangebirge zum 117. Jubiläum seiner Sozialistischen Partei schwärmte er von einem "neuen Regierungsmandat" nach den regulären Parlamentswahlen 2009. Seine von den Sozialisten dominierte Regierung habe bereits ein "günstiges Wirtschaftsklima" geschaffen und wolle sich nun "sozialen Aufgaben" widmen. Die Sozialisten dächten nicht an Aufgabe, versicherte der 42-jährige Sozialistenchef, nicht wegen "Populisten und Ataka-Neofaschisten". (Elena Lalowa/dpa/DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2008)