Nach 110 Tagen_Haft wieder frei: Der Hauptverdächtige Martin Balluch wurde vor dem Gefängnis sehnsüchtig erwartet.

 

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Wer Martin Balluch ansieht, kann sich die Frage, wie es ihm geht, eigentlich sparen. Die 110 Tage in U-Haft haben den Chef des Vereines gegen Tierfabriken (VgT) sichtlich gezeichnet: blass, bärtig, zerschlissenes T-Shirt (mit dem Aufdruck „Vegan"), in den Taschen seiner zu weit gewordenen Hose (Hungerstreik) hat er noch Psychopharmaka, die er in den vergangenen Wochen immer eingeworfen hat, um schlafen zu können. „Jeder drinnen bekommt welche, ohne drehst du durch."
Seit Dienstagmittag sind Hauptbeschuldigter Balluch und die acht weiteren Tierrechtler, die vor drei Monaten verhaftet worden waren, weil sie eine kriminelle Organisation gebildet haben sollen, wieder in Freiheit. Auslöser der Enthaftungen in Wien, Wiener Neustadt und Eisenstadt sei die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegen die am 14. August 2008 erfolgte Freilassung des ersten von zehn Tierschützern gewesen, schildert Maria Luise Nittel von der Oberstaatsanwaltschaft Wien. In Reaktion auf die Forderung der Staatsanwaltschaft, besagten Verdächtigen erneut in U-Haft zu bringen, „sind wir zum Schluss gekommen, dass dies angesichts der zu erwartenden Strafe unverhältnismäßig wäre".

Ebenso „unverhältnismäßig" wie die fortgesetzte Inhaftierung der anderen neun Männer und Frauen. Das führte am Dienstag trotz weiter bestehender „Tatbegehungsgefahr" zu deren Entlassung. Das Strafverfahren gegen sie wird fortgesetzt.

Der Weisung "gebeugt"

Ausschlag habe zudem gegeben, dass in dem laufenden Verfahren „nicht mit einem unverzüglichen Endergebnis zu rechnen ist", sagt Nittel. Die Ermittlungen seien „noch nicht abgeschlossen". Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt steht der Freilassung kritisch gegenüber: „Wir haben uns lediglich der Weisung, die Verdächtigen zu enthaften, gebeugt", betonte Sprecher Erich Habitzl.

„Die Suppe ist offenbar recht dünn", kommentiert Verteidiger Stefan Traxler im Gespräch mit dem STANDARD. Martin Balluch sprach unmittelbar vor der Justizanstalt Josefstadt von „ungeheuerlichen Vorwürfen". „Mir werden aus dem Zusammenhang gerissene Zitate vorgeworfen, die elf Jahre alt sind", so Balluch. Manche Ansichten, die er in Internetforen vertreten habe, seien „auf das Bösartigste verdreht worden".

Des weiteren habe man ihm vorgeworfen, dass er Daten auf seinem eigenen PC verschlüsselt habe. Medienberichte über Anschläge von anderen Organisationen, die er archiviert habe, seien gegen ihn verwendet worden. Balluch kündigte an, seine Tierrechtsaktivitäten auf jeden Fall fortsetzen zu wollen: „Was ich gemacht habe, ist vollkommen legal. Ich habe nichts eingeschlagen, nie etwas beschädigt, zu keinen Verbrechen aufgerufen. Was ich gemacht habe, das würde ich morgen wieder tun."

Auch Jürgen Faulmann, hauptberuflich internationaler Kampagnendirektor bei Vier Pfoten, kann die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, nicht nachvollziehen. „Sie sind völlig aus der Luft gegriffen." Der 39-Jährige saß die vergangenen Monate in der Justizanstalt Wiener Neustadt ein. „Bei mir endet der Einsatz für Tiere beim zivilen Ungehorsam. Weiter würde ich nicht gehen." Ein Großteil der eben entlassenen Aktivisten, die laut Staatsanwaltschaft derselben kriminellen Organisation angehören sollen wie er selbst, kenne er nicht einmal.

Auf eines ist die Justiz übrigens stolz: Die Aktivisten konnten in der U-Haft mit veganer Ernährung verpflegt werden. Auch tierversuchsfreie Kosmetika wurden zur Verfügung gestellt. (bri, moe, simo, stem/DER STANDARD; Printausgabe, 3.9.2008)