Mit dem Auftauchen von Muriel (Ariane Ascaride) wird für deren ehemalige Partner die gemeinsame kriminelle Vergangenheit plötzlich sehr lebendig.

Foto: Stadtkino

Wien - Eines Tages steht sie plötzlich am Pier: eine drahtige kleine Frau in hohen Hacken und schwarzem Lackmantel. Die Handtasche fest unter den Arm geklemmt, den Kragen gegen den Wind hochgeschlagen, ihr Gesichtsausdruck eine Mischung aus größtem Ernst und stiller Wiedersehensfreude, schaut sie herüber.

Der Mann, der dort gerade eine Bootsreparatur abgeschlossen hat, und die Frau kennen einander von früher. Einst haben sie - gemeinsam mit dem Dritten im Bunde, der bald ebenfalls zu ihnen stoßen wird -, jenseits der Legalität agiert. Nach einem letzten, erfolgreichen Coup vor vielen Jahren hatten sie keinen Kontakt mehr. Nun aber ist Muriels halbwüchsiger Sohn abgängig. Ein Entführer stellt Bedingungen. Und ihr Vorleben hat sie gelehrt, dass sich in so einem Fall tendenziell der Griff zu unorthodoxen Mitteln empfiehlt.

In Robert Guédiguians aktuellem Film Lady Jane, der im Februar im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführt wurde und nun in Österreich ins Kino kommt, ist das Kriminelle also von Anfang an persönlich; die Politik wiederum bleibt am Rand gegenwärtig - zumindest früher haben die Diebe ihre Beute Robin-Hood-artig mit den Bedürftigen geteilt.

Im Kern geht es, gemäß klassischer Thriller-Vorgaben,jedoch um ein Verbrechen, das verknüpft mit der Vergangenheit der Beteiligten und von ihren Gefühlen nicht zu trennen ist. Es geht um ein fatales Geheimnis - und um eine ungerichtete Sehnsucht, die plötzlich ein konkretes Ziel findet.

Erweiterter Gangsterfilm

Lady Jane ist in alldem ein Gangsterdrama. Allerdings operiert der Regisseur eigenwillig mit Genre-Versatzstücken: Er reduziert das Geschehen, verweist potenzielle Spannungsmomente immer wieder ins Off - der Akt der Entführung von Muriels Sohn wird allein über Anrufe und Bildnachrichten auf Muriels Mobiltelefon vermittelt. Dafür hat dann ein einziger Schuss, der in einer Tiefgarage unheimlich und laut nachhallt, eine Wirkung wie sonst ganze Maschinengewehrsalven nicht.

Auch der Zugang, bestimmte Aktivitäten weniger filmisch (etwa in schnellen Schnittfolgen) als primär physisch aufzulösen, intensiviert den Effekt - wenn beispielsweise der schnauzbärtige Bootsmechaniker François (Jean-Pierre Darroussin) entschlossen einen Plan zur Lösegeldbeschaffung durchzieht und dabei jede Handgreiflichkeit sitzt.

Er plane, sagte Robert Guédiguian vor zwei Jahren in einem Gespräch im Zusammenhang mit seinem vorherigen Film Voyage en Armenie, als Nächstes eine Geschichte über Blutrache zu erzählen. Eine Geschichte über die destruktive Paradoxie eines Konzepts, das vorgeblich auf Ausgleich abzielt, Schuld gegen Schuld aufwiegt, dabei aber nur fortwährend neue Schuld akkumuliert, beziehungsweise alte umverteilt.

Lady Jane ist allerdings auch ein schöner, gelassener, mit einem Hauch Melancholie versehener Film übers Älterwerden geworden. Über die unüberbrückbare Differenz zwischen damals und heute. Dieser Aspekt wird noch dadurch verstärkt, dass man Ariane Ascaride - privat die Lebenspartnerin des Regisseurs -, Gérard Meylan und Jean-Pierre Darroussin seit den 80er-Jahren in unterschiedlichsten Rollen und Konstellationen in Guédiguians Filmen agieren sieht.

Wenn Darroussin nun einen zweiten Frühling erlebt, sich übermütig als Gangster gebärdet - im bordeauxroten Teddy-Boy-Outfit mit keckem Hütchen, dann ist das eine hintergründige Maskerade. Damit wird nicht nur eine neue Facette an der Figur manifest. Vielmehr fügen sich ganz neue Qualitäten zu all den introvertierten, gutmütigen oder hilflosen Männern, die der Schauspieler in Guédiguians Filmen zuletzt gespielt hat. Nicht die geringste Leistung dieses Films. (Isabella Reicher, DER STANDARD/Printausgabe, 04.09.2008)