Illustration: Ars Electronica

Linz - Den virtuellen Raum in die Hand nehmen, die Physik des Sonnensystems ändern oder den Bombenangriff auf Dresden 1945 hören, aber nur dann, wenn man sich die Ohren zuhält: Dies kann man seit heute, Donnerstag, bei der Ars Electronica in Linz. Bevor sich das Linzer Computerkunst-Festival ab morgen, Freitag, theoretisch mit seinem heurigen Thema "A New Cultural Economy" auseinandersetzt, präsentierte sich erstmal die Medienkunst. Und die Ausstellung der preiswürdigen Arbeiten des "Prix Ars Electronica" im O.K. Centrum ist bei weitem weniger verspielt als gewohnt.

Neue Ökonomien

So veraltet der Begriff mittlerweile in den Ohren der Internetgeneration von heute klingen mag: Der Name der "CyberArts"-Ausstellung im O.K. Centrum bringt den heurigen Programm-Schwerpunkt der Ars Electronica geglückt auf den Punkt. Denn das Kunstschaffen von heute ist immer schwerer am realen Raum festzumachen, es wird gleichsam immer virtueller. Schallplatten und Videokassetten zu kopieren, war noch mit einem gewissen Aufwand verbunden. Doch Musik- und Filmdateien lassen sich ebenso frei kopieren wie elektronische Texte, und wenn man schon kein wertvolles Gemälde zu Hause an die Wand hängen kann, so kann man doch Video- und Medienkunst leicht vervielfältigen. Und es ist daher für die Kunstschaffenden immer schwieriger, jenen Anspruch auf Exklusivität aufrechtzuerhalten, für den Kunst-Konsumenten gerne viel Geld ausgeben. So braucht es nicht nur neue ökonomische Modelle für Popmusik und Hollywood. Sondern bald auch für die "ernste" Medien-Kunst. Wie diese neue Kultur-Ökonomie aussehen soll, sollen die kommenden Tage klären.

Copyright am Körper

Doch die Grenzen des Besitzanspruches verschwimmen nicht nur bei Popsongs und Kinofilmen. Auch der menschliche Körper, das virtuelle Innenleben realer Räume und zuletzt sogar die Gedanken werden bei der Ars Electronica öffentlich zugänglich gemacht: In der Landesgalerie blickt die aufwendige Optik des "Gedankenprojektors" bis an die Rückseite des eigenen Auges und versucht dort Abbilder der innersten Gedanken zu finden. Zwischen Retina, Augenhintergrund und Iris formen sich da esoterische Bilder, die an parapsychologische Aura-Fotografie und Wissenschaftsspuk erinnern. Doch es war fast zu erwarten: Nicht jeder Gedanke ist ein Bild wert. Warum man etwa ausgerechnet an etwas gedacht haben soll, das aussieht wie ein schwarzes Huhn mit gelben Schwanzfedern, muss man sich wohl in einer stillen Stunde mit sich selber klären.

Tanz der Körpersekrete

In der "CyberArts-Schau" im O.K. Centrum (bis 5. Oktober), bei der die ausgezeichneten bzw. mit einer Würdigung versehenen Einreichungen zum "Prix Ars Electronica" zu sehen sind, wird jene Performance dokumentiert, mit der der Schweizer Yann Marussich am Samstag im Lentos die Kanäle und Kreisläufe seines Körpers nach außen kehren wird - auf greifbare Weise: Bei "Bleu Remix" scheidet der regungslos verharrende Marussich eine blaue Flüssigkeit über seine Tränendrüsen, Poren und seinen Mund aus. Dieser bewegungslose Tanz der Körpersekrete ist Teil jener Genre-Grenzen überschreitenden Preiskategorie "Hybrid Art", die die Ars Electronica heuer zum zweiten Mal würdigt. Die "Goldene Nica" ging dabei an ein Projekt, das zwischen Wirtschaftskritik, Umweltschutz und Laserkunst angesiedelt ist: Bei "Nuage Vert" wurden im Rahmen der Projektserie "Pollstream" im Februar 2008 Emissionen einer Fabrik in giftig-grünes Laserlicht getaucht, und gleichzeitig die Bevölkerung von Helsinki dazu gebracht, all ihre elektrischen Geräte abzudrehen.

Muslimische Gebetsrufe

Wie stark öffentliche Räume mit Bedeutung aufgeladen sind, und wie irritierend es manche finden, wenn diese Bedeutung konterkariert wird, machte Johannes Gees bei seiner Intervention "Salat" in Zürich bewusst: Er installierte heimlich mobile Lautsprecher-Systeme auf fünf Kirchtürmen, und ließ dann von dort den muslimischen Gebetsaufruf herab erschallen. Das fanden so einige nicht besonders lustig: Im O.K. Centrum sind jene Gerichtsakten eingerahmt und aufgehängt worden, die zwar die Einstellung des aus der Provokation resultierenden Verfahrens, aber auch die Übertragung der Gerichtskosten auf den Künstler dokumentieren.

Luftraum

Die verborgenen Wunden des öffentlichen Raumes auffinden kann man am Boston Harbor (USA) mit der tragbaren Klanginstallation "Core Sample": 1950 war der dortige Grund von Abfällen so vergiftet, dass er nicht mehr betreten werden durfte. Nun, nachdem ein paar Tonnen neuer Boden die alte Deponie in einen neuen Park verwandelt haben, kann man mit einem kleinen Computer, der mit einem GPS-Modul ähnlich den Navigationsgeräten fürs Auto ausgerüstet ist, das Gebiet abwandern und klanglich neu erleben. Auch die Schrecken des Luftangriffes auf Dresden im Februar 1945 lassen sich nacherleben: "touched echo", ein mit Tönen aufgeladenes Geländer, überträgt den Kriegslärm über die aufgestützten Ellenbogen auf die Arme und zuletzt auf die Ohren - aber nur, wenn man sich mit den Händen die Ohren zuhält. Ein starkes Bild.

Sternenemodell

Wie unsicher unser Wissen vom uns umgebenden Raum ist, zeigt "Optical Tone" auf simple Weise: Bunte Leucht-Kugeln verwandeln die scheinbar eindeutig gefärbten Tapeten des Raumes in völlig andere Schattierungen. Und wen es immer noch bedrückt, dass nicht die Erde im Zentrum des Sonnensystems steht, der kann das bei "a plaything for the great observer at rest" ändern: Bei dem groß angelegten Sternenmodell kann man einfach zwischen helio- und geozentrischem Weltbild umschalten.

Doch ein bisschen leichte Unterhaltung darf nicht fehlen: Bei "Moving Mario" wurde das legendäre Computerspiel "Super Mario Bros" real nachgebaut. Der im Bereich "Digital Musics" mit einer Goldenen Nica ausgezeichnete interaktive Musiktisch "reactable" ist ein ebenso intuitives wie ernsthaftes und hoch komplexes Musikinstrument, mit dem man schnell durchaus ansprechende elektronische Musik gestalten kann, indem man verschiedene Gegenstände auf einen Tisch legt. Und wer nicht selber involviert sein will, kann auch nur zusehen: Beim Animations-Festival, das zeitgleich zum Linzer O.K. Zentrum auch im net.culture.space im Wiener MuseumsQuartier mitzuverfolgen ist, werden rund 100 Computer-animierte Filme mit einer Gesamtdauer von zehn Stunden gezeigt. (APA)