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Vom damaligen Präsidenten Musharraf entlassene Juristen verlangen ihre Wiedereinsetzung: Präsidentschaftskandidat Asif Ali Zardari, der Bhutto-Witwer, weigert sich.

Foto: REUTERS/Faisal Mahmood

Und die Kluft der Menschen zum Westen wächst.

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Man entkommt ihm nicht. Allerorten blickt einem der Mann mit dem glatten Lächeln und den stets gegelten, nach hinten gekämmten Haaren von riesigen Plakaten entgegen. Ein "schlechter Mann" sei das, sagt der dicke Taxifahrer Azeer, während er den klapprigen Wagen durch das Durcheinander von Eselkarren, Rikschas, Autos und Lastern steuert. Die Monsunluft ist heiß und stickig, Lahores Straßen sind verstopft.

Wie früher Pervez Musharraf plakatiert nun Asif Ali Zardari gegen seine Unbeliebtheit an. Neben ihn hat man das Foto seiner toten Frau Benazir Bhutto montiert, als würde so etwas von ihrem Ruhm abfärben. Kaum jemand zweifelt, dass das Parlament den Bhutto-Witwer am Samstag zum Präsidenten wählt. Er wird der neue starke Mann des Landes, das über 50 bis 100 Atomsprengköpfe verfügt.

Noch vor einen halbem Jahr hatten die Menschen auf den Straßen getanzt, als die Bhutto-Partei PPP (Pakistan People's Party) die Wahlen gewann und Musharrafs Unterstützerpartei böse unterlag. Die Menschen wollten Demokratie. Nun bekommen sie Zardari, der elf Jahre wegen Mord- und Korruptionsanklagen im Gefängnis saß. Und das halbe Land scheint fassungslos. Als Machiavelli, als zweiten Musharraf bezeichnen die Zeitungen ihn.

Verzweifelte Bhutto-Anhänger

Auch Saima war im Frühling noch voller Hoffnung. Immer hat sie PPP gewählt, an ein besseres Pakistan geglaubt. Doch nun verzweifelt sie manchmal an ihrem Land. "In ihren Herzen wissen alle, dass Zardari nicht der richtige Mann ist" , sagt die 43-Jährige in der rosa Kurta, während sie aus dem Fenster des schlichten Büroraums schaut. So denken viele. Einen "Ganoven" nennen die Menschen den Bhutto-Witwer.

Geradezu überrumpelt hatte Zardari die PPP, den Schock über die Ermordung seiner Frau Ende 2007 genutzt, um die Bhutto-Partei zu kapern. Dann entledigte er sich, gemeinsam mit Expremier Nawaz Sharif, Musharrafs. Nun will er offenbar auch Sharif loswerden. Sharif ist jedoch beliebt. "Er steht den Religiösen nahe. Aber er ist kein schlechter Mensch" , meint selbst Saima, die PPP-Anhängerin.

Abseits von der Politik kämpfen die Menschen für ihr tägliches Überleben. Die Wirtschaft ist im freien Fall. Viele reden davon, wegzugehen. "Nie wollte ich Pakistan verlassen. Nun denke ich erstmals daran" , sagt Saima traurig."Es ist die schlimmste Zeit, die Pakistan je erlebt hat."

Selbst in der Metropole Lahore ist die Krise allgegenwärtig. Der Strom fällt acht bis 16 Stunden aus. Abends sitzt man bei Kerzenlicht oder mit Taschenlampe. Ganze Fabriken sind dicht und haben ihre Leute vor die Tür gesetzt. Wütende Demonstranten ziehen durch die Straßen, weil nun auch noch die Strompreise um 31 Prozent erhöht wurden. Musharraf hat Potemkinsche Dörfer hinterlassen. Nichts scheint geblieben von dem Wirtschaftssaufschwung, dessen er sich rühmte. Der Staat ist beinahe pleite.

Selbst Seife und Shampoo werden nun als Luxusgüter hochbesteuert. Vor den staatlichen Lebensmittelläden drängeln sich endlose Schlangen, den ganzen Tag stehen Männer und Frauen in getrennten Reihen in der brütenden Hitze an. Oft vergeblich. Die Waren reichen vorn und hinten nicht, und die Preise sind explodiert. Die Hälfte der 163 Millionen Pakistaner hat laut UN nicht mehr genug zu essen. "Hunger ist nun das Problem Nummer eins" , sagt Saima. "Wenn die Menschen nichts zu essen haben, wird es mehr Gewalt geben.

In der Innenstadt Lahores zeugen koloniale Bauten noch von der Herrschaft der Briten. Azeer, der Taxifahrer, muss einen Umweg fahren. Polizisten haben eine Hauptstraße gesperrt. Die Taliban drohen einmal wieder mit Anschlägen. Sie haben auch Lahore als Ziel genannt, die Hauptstadt des Punjab, der reichsten der vier Provinzen des islamischen Landes. Lahore hat ebenso wie Islamabad Symbolwert. Jeder Anschlag hier trifft Pakistans bürgerliches Nervenzentrum.

Noch vor wenigen Monaten galt Lahore, wenn man pakistanische Maßstäbe anlegt, als Oase der Sicherheit. Kämpfe und Bombenanschläge schienen beruhigend weit weg, in den Grenzprovinzen zu Afghanistan. Doch nun kriecht der Terror auch in die großen Städte, nach Islamabad, nach Lahore, nach Karachi. Ein Klima des Unbehagens macht sich breit. "Ich weiß nie, ob ich abends noch nach Hause komme", sagen viele ängstlich.

Terror kriecht in die Städte

Wie ein schauriges Mahnmal wirkt die Ruine in Lahores belebtem Regal Square. Auf dem Parkplatz davor türmen sich Mauerstücke und zerbeulte Autowracks. Mit einem Truck voller Sprengstoff hatte am 11. März 2007 ein Selbstmordattentäter die Sperre zum Gelände durchbrochen. Die Wucht der Bomben war so gewaltig, dass es die Fassade des siebenstöckigen, ockerfarbigen Gebäudes wegriss. Im Umkreis von einem Kilometer zerbarsten die Scheiben von Geschäften und Häusern.

Aussichtsloser Kampf

Aufgeschnittenen Waben gleich schauen die leeren Bürozimmer ins Freie. Die Federal Investigation Agency (FIA), eine Art pakistanisches FBI, hat ihre regionale Zentrale hier. Zwischen Schutt und Mauerrissen arbeiten die Beamten weiter in den hinteren, weniger versehrten Räumen. Nur einem Zufall hat es Ahmed Vafer zu verdanken, dass er noch lebt. Er hatte an diesem Tag frei. Der 27-jährige ist Unterinspekteur beim FIA.
Seine westliche Kleidung, das hellblaue Polo-Shirt und die beige Hose, heben ihn von der Masse ab, von den Armen und Ungebildeten. Er ist sauber rasiert, hinter seiner Brille schauen intelligente Augen. Man munkelt, dass das FIA lokalen Al-Kaida-Ablegern auf der Spur war. Aber niemand will das bestätigen. 15 Menschen starben. "Auch mein Vater war darunter", sagt Ahmed Vafer leise.

Pakistan zahlt einen hohen Blutzoll. Bombenanschläge und Selbstmordattacken sollen im vergangenen Jahr 3599 Menschen getötet haben. Sieben Jahre nach Beginn des Anti-Terror-Krieges sind die Taliban stärker denn je. Täglich berichten die Nachrichtensender über Kämpfe und Tote. Und Teile der Gesellschaft entfremden sich immer mehr vom Westen. "Amerikaner sind Hunde" , steht auf Mauerwänden. Eine böse Schmähung, Hunde gelten als unrein. Man sieht mehr Frauen mit Kopftuch oder Burka, selbst in Lahore, der Stadt der liberalen Bildungselite.

Islamisten in Machtpositionen

Hardliner und Moderate ringen miteinander. Die Saat dafür legte Militärdiktator General Muhammad Zia-ul-Haq bis 1988. Er erkannte die Abschlüsse der Koranschulen für ein Studium an, das wiederum das Eintrittsticket für den höheren Staats- und Militärdienst ist. Die Koranschüler traten den langen Marsch durch die Institutionen an. Heute sitzen viele an den Schalthebeln der Macht, in Behörden, im Militär, im Geheimdienst. Etwa 25.000 Madrasen gibt es in Pakistan, bis 15.000 werden dem radikaleren Flügel zugerechnet. Aber es ist ihnen schwer beizukommen. Die meisten bemühen sich nach außen um eine harm-lose Fassade. Und oft halten mächtige Gesinnungsgenossen ihre schützende Hand über sie. (Christine Möllhoff aus Lahore/DER SSTANDARD, Printausgabe, 5.9.2008)