An diesem Samstag steht ein historischer Durchbruch zwischen der Türkei und der Republik Armenien bevor. Erstmals, seit aus der ehemaligen Sowjetrepublik Armenien 1991 ein eigenständiger Staat wurde, reist morgen ein türkischer Präsident nach Eriwan. Anlass ist das Fußballspiel beider Nationalmannschaften für die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2010. Nach langem Zögern hat gestern Präsident Abdullah Gül bekannt gegeben, dass er einer Einladung seines armenischen Kollegen Serge Sarkisian folgen wird und für einen Tag nach Eriwan fliegt.

Der Besuch in Armenien hat einen hohen Symbolwert. Die beiden Länder unterhalten keine diplomatischen Beziehungen zueinander, und die Grenze zwischen der Türkei und Armenien ist seit 1994 geschlossen. Der Grund dafür ist der damalige Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um die armenische Enklave Berg Karabach, bei dem die Türkei das aserbaidschanische "Brudervolk" unterstützte.

Die Türkei hat bislang für eine Öffnung der Grenze zur Voraussetzung gemacht, dass Armenien zumindest einen Teil des von ihm besetzten aserbaidschanischen Gebietes als Zeichen für seine Kompromissbereitschaft räumt.

Schwieriger noch als der aktuelle Konflikt wiegt die geschichtliche Last. Armenien wirft dem Osmanischen Reich, als dessen Nachfolger die Türkei sich versteht, einen Völkermord an den Armeniern vor, die bis 1915 in den Grenzen des Osmanischen Reiches lebten. Die Türkei bestreitet den Völkermordvorwurf vehement und hat vorgeschlagen, eine gemeinsame Historikerkommission einzurichten, was Armenien allerdings bis jetzt ablehnt.
In beiden Bereichen zeichnet sich mittlerweile neue Bewegung ab. Über Karabach wird intensiv verhandelt, und der Krieg in Georgien hat für alle die Dringlichkeit einer diplomatischen Lösung unterstrichen. Darüber hinaus kann der Besuch Güls die in der Genozid-Debatte bislang vorherrschende psychologische Barrieren überwinden helfen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 5.9.2008)