Arthur Kaser weist erstmals einen genetischen Mechanismus nach, der zu Darmentzündungen führt.

Foto: Meduni Innsbruck

Innsbruck/Boston - Es gibt auch Erfolgsmeldungen von der Medizin-Uni Innsbruck - und nicht nur Skandale: Der Gastroenterologe Arthur Kaser weist erstmals einen genetischen Mechanismus nach, der zu Darmentzündungen führt. In der aktuellen Ausgabe des US-amerikanischen Top-Wissenschaftsjournals Cell berichtet Kaser über die Entdeckung, die er während seines Aufenthalts an der Harvard Medical School in Boston machte und die wegweisend für die Therapie der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sein könnte.

Die beiden Erkrankungen, von der allein in Österreich und Deutschland 500.00 Menschen betroffen sind , gelten als hartnäckig und nicht heilbar. Kaser gelang es gemeinsam mit mit Kollegen aus Boston, Kiel und Rotterdam, den Weg zur Entzündung nachzuvollziehen: Genetisch bedingter Stress im Epithel, der Zellschicht zwischen Darmbakterien und Immunsystem, führt zur Entzündung.

Der eigentliche Schlüssel zur Krankheit liegt in der körpereigenen Abwehr, in den sogenannten Panethzellen. Diese speziellen Darmzellen bauen Eiweiße (Defensine), die das friedliche Keimmilieu verteidigen. "Veränderungen im XBP1-Gen lösen im sogenannten endoplasmatischen Retikulum, dort wo Eiweiß produziert wird, Stress aus", so Kaser im Gespräch mit dem Standard.

Funktioniere ein Molekül nicht voll, sei die Zelle nicht in der Lage mit dem Bedarf an Eiweißproduktion umzugehen. "Die Zelle sollte mehr Eiweiß produzieren, als sie eigentlich kann und versucht zu adaptieren. Sie steigt zuerst auf die Bremse, treibt dann wieder an, reagiert dabei viel stärker auf Reize von außen. Wenn alle diese Adaptionsmechanismen schiefgehen, kommt es zum Zelltod. Zusammen führt das dann zur Entzündung."

In einem Mausmodell nahm man die Rolle von XBP1 genau unter die Lupe. Wurde das Gen ausgeschaltet, entstanden spontane Darmentzündungen, die den chronisch-entzündliche Darmerkrankungen beim Menschen gleichen. Das Epithel konnte weder mit nützlichen Darmbakterien adäquat umgehen, noch angemessen auf entzündliche Reize reagieren.

Um festzustellen, ob XBP1 auch ein genetischer Risikofaktor für CED beim Menschen ist, wurden zusammen mit der Universität Kiel die Gene von über 5000 CED-Patienten und Gesunden analysiert. Kaser und Andre Franke aus Kiel identifizierten spezifische Veränderungen am XBP1. "Es gab in allen Stichproben einen Zusammenhang zwischen dem Gen und der Krankheit", so Franke.

Für Senior-Autor Richard Blumberg von der Harvard Medical School sind "die therapeutischen Implikationen beachtlich, weil das Ergebnis uns zum ersten Mal erlaubt, Medikamente für eine neue Klasse von Molekülen zu entwickeln, von denen wir nun wissen, dass sie ein typischer genetischer Risikofaktor für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind".

In fünf bis sieben Jahren könnte es Substanzen geben, die "direkt an der Ursache angreifen und die Remissionserhaltung unterstützen", so Kaser. "Umso besser man die Erkrankungen versteht, umso spezifischere und damit auch ökonomischere Therapien können entwickelt werden." (Jutta Berger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. September 2008)