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McCain winkt nach seiner Ansprache in die Menge.

St. Paul - Als John McCain seine Rede beendet hatte, zog die Parteitagsregie alle Show-Register: Tausende Luftballons regneten auf die Delegierten des Wahlparteitags herab, Glitzer-Konfetti ließ die Luft in der Tagungshalle in St. Paul funkeln. Das Party-Beiwerk passte freilich nicht so recht zu der nüchternen, nachdenklich vorgetragenen Rede, mit der sich der Senator eben seinen Republikanern als Präsidentschaftskandidat vorgestellt hatte. Ohne jedes Pathos präsentierte sich McCain als Reformer, der einen politischen Neubeginn in Washington will. "Der Wandel wird kommen", versprach McCain. Es klang wie ein leiser Widerhall seines Gegners Barack Obama, der "Wandel" zum beherrschenden Schlagwort dieses Wahljahres gemacht hatte.

Doppeltes Dilemma

McCain war unter dem Druck eines doppelten Dilemmas an das Rednerpult getreten: Er musste sich von seinem unpopulären Parteifreund George W. Bush abgrenzen, ohne dessen verbliebene Anhänger zu verprellen. Und er musste den ausgeprägten Wunsch vieler Wähler nach einem Neubeginn bedienen, ohne selbst als der alte Politikveteran zu erscheinen, der er nach 22 Jahren im Senat nun einmal ist. McCain versuchte dies mit ehrlicher Kritik an der Bilanz seiner eigenen Partei: "Wir haben das Vertrauen der Amerikaner verloren", sagte er. "Wir waren gewählt worden, um Washington zu ändern, doch Washington hat uns geändert."

McCains strenge Worte ließen es einen Moment ganz still im Saal werden, in dem eigens für ihn eine neue Bühne aufgebaut worden war. McCain stand auf einer laufstegartigen Plattform mitten unter den Delegierten in der riesigen Arena. Es war symbolischer Ausdruck seines Willens, als bodenständiger Kandidat der Mitte wahrgenommen zu werden - und als Gegenbild zu Obama, der seine Parteitagsrede eine Woche zuvor auf einer Prunk-Bühne mit Säulen-Attrappen gehalten hatte. Anders als Obama redete McCain leise, so als halte er direkte Zwiesprache mit dem Wähler. Anders als seine Vizekandidatin Sarah Palin am Vorabend brachte McCain damit den Saal aber nicht wirklich zum Kochen.

"Parteiengezänk und Filzskandale"

Von der Bürde der Unbeliebtheit seines Parteifreunds Bush versuchte sich McCain zu befreien, indem er in die Klagen vieler Wähler über das politische Establishment in Washington einstimmte. Dort werde eine Politik praktiziert, die "alt, verschwenderisch, untätig, eigennützig" sei, sagte McCain. Mit Parteiengezänk und Filzskandalen werde er Schluss machen. Seine Rede sei als "Vorwarnung an die Washingtoner Meute" zu verstehen, dass bald ein anderer Wind wehe. "Ich werde dafür sorgen, dass die Regierung wieder funktioniert."

Für McCain ist es ein argumentativer Balanceakt, über dessen Gelingen auch nach dieser Nacht noch nicht entschieden ist: Obwohl seit Jahren einer der bekanntesten Washingtoner Politiker, gibt sich McCain als Außenseiter. Immer wieder betont er in seiner Rede seinen legendären Ruf als Querdenker. "Ich marschiere zu meinem eigenen Rhythmus", sagte er. "Ich arbeite nicht für eine Partei, sondern für Sie." Die Republikaner präsentierten sich auf dem viertägigen Konvent denn auch wie eine Partei, die Distanz zu sich selbst suchte. McCain erwähnt den Namen George W. Bush kein einziges Mal.

"Es war ein guter Ausgangspunkt"

In seiner Rede schnitt der Kandidat viele Themen an. Die Wirtschaftsflaute, laut Umfragen das wichtigste Thema der Wähler, erwähnte er aber nur kurz. Wie genau er sich als Präsident von Bush unterscheiden würde, führte er nicht aus. "In den nächsten zwei Monaten werden wir mehr von seinem Plan hören", hoffte der Delegierte Garry Bartel aus Colorado hinterher. "Es war eben eine kurze Rede", sagte die texanische Delegierte Stephanie Lacey. "Es war ein guter Ausgangspunkt."

McCains machtvollstes Argument für seine Person war auch an diesem Abend möglicherweise wieder die Erinnerung an seine fünfjährige Kriegsgefangenschaft in Vietnam. "Ich habe mein Land lieben gelernt, als ich in einem anderen gefangen war" sagte er. Die Geschichte ist hinlänglich bekannt, doch hat sie immer noch das Potenzial, stehende Ovationen hervorzurufen. Mit einem Schlachtruf verabschiedete sich der alte Krieger von seinem Parteitag: "Steht auf und kämpft mit mir!" Die Delegierten bedankten sich mit dem lautesten Beifall des Abends. (Von Peter Wütherich / AFP)