Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Lalouschek ist medizinischer Leiter des Instituts für Burnout- und Stressmanagement in Wien und Gründer des Institutes Medical Coaching.

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Burnout entwickelt sich langsam, über Monate oder sogar Jahre hinweg und ist durch emotionale Erschöpfung, Leistungsverminderung und eine negative Einstellung gegenüber der Arbeit gekennzeichnet. Burnout ist zwar grundsätzlich ein Phänomen der Arbeitswelt, aber auch im privaten Bereich nicht auszuschließen. Stress, Überlastung und Zeitdruck, mangelnde Mitbestimmung und Kontrolle sowie Mobbing fördern Burnout. Um eine Erkrankung zu vermeiden, sind eine ausreichenden Psychohygiene, das Erlernen der eigenen Grenzen und die Erhaltung der "Work-Life-Balance" wichtig.

derStandard.at: Wie definieren Sie Burnout?

Lalouschek: Das Burnout-Syndrom ist ein Erscheinungsbild das primär durch drei Kernsymptome gekennzeichnet ist: Das erste ist die emotionale Erschöpfung, das heißt wir können die Gefühlsdynamik, die wir normalerweise in unserem Leben haben, nicht mehr wirklich ausschöpfen, insbesondere positive Gefühle nicht mehr gut erleben.

Das zweite ist eine Leistungsverminderung, eine zunehmende Ineffizienz, auch Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit. Das dritte Kernsymptom ist eine negative Einstellung gegenüber der Arbeit, gegenüber unseren Kunden, Klienten oder Patienten, je nachdem, wo wir arbeiten. Das kann bis hin zum Zynismus gehen. Insbesondere in Berufen, bei denen viel Kontakt mit Menschen besteht, ist das ein ernsthaftes Problem.

derStandard.at: Wie viel Prozent der ÖsterreicherInnen leiden an Burnout und welche Berufsgruppen sind besonders betroffen?

Lalouschek: Seriöse Zahlen gibt es aufgrund unrepräsentativer Umfragen nicht. Die führenden Burnout-Forscher sprechen von sechs bis sieben Prozent der Arbeitnehmer. In Risikoberufen können das auch mehr als zwanzig Prozent sein. Neben den Sozialberufen sind auch andere Berufsgruppen besonders gefährdet, wie Personen im Finanzwesen, Marketing, Selbstständige mit hohem Erwerbsdruck, Polizisten, Lehrer und Führungskräfte.

derStandard.at: Ist Burnout ein Phänomen der Arbeitswelt, oder auch im privaten Bereich existent?

Lalouschek: Der Schwerpunkt des Burnout-Phänomens liegt auf der beruflichen Seite, aber es hat gewisse Varianten, die in das Privatleben hineinspielen können. Häufig treffen berufliche und private Ereignisse zusammen. Diese können genau jener Tropfen sein, der das Fass zum überlaufen bringt. In Burnout artige Zustände können zum Beispiel auch Menschen kommen, die ihre Angehörigen pflegen, aber auch Hausfrauen waren bei uns schon in Behandlung.

derStandard.at: Die Erkrankung erfolgt nicht über Nacht. Wie kommt es zu Burnout?

Lalouschek: Burnout entwickelt sich in aller Regel schleichend, über Monate oder sogar Jahre. Das stellt ein großes Problem dar, denn alles, was sich schleichend entwickelt, bemerken wir schwer. Erst wenn Personen eine Sache mit größerem Abstand betrachten, bemerken sie Änderungen. Das heißt, wenn ich mich zum Beispiel Frage, wie meine Einstellung gegenüber meiner Arbeit vor einigen Jahren war, dann werde ich vielleicht einen Unterschied zum momentanen Status feststellen können.

derStandard.at: Welche Umstände und Faktoren fördern die Entwicklung des Burnout-Syndroms?

Lalouschek: Es gibt eine Reihe von Umständen, die Burnout fördern können. Generell unterscheidet man äußere und innere Auslösebedingungen, die in der Regel zusammen auftreten. Bei den äußeren Faktoren sind Stress, Überlastung und Zeitdruck wichtige Faktoren. Aber auch eine Reihe anderer Umstände wie mangelnde Mitbestimmung und Kontrolle, Unfairness, Mobbing, unklare Rollenverteilung, eine zu enge oder zu weite Aufgabendefinition, schlechte Organisation der Arbeitsbedingungen, mangelndes Feedback und mangelnde Anerkennung der Vorgesetzten sind Burnout fördernd.

Unter gleichen äußeren Bedingungen kommen manche Menschen schneller und manche weniger leicht ins Burnout. Das hängt von individuellen Dispositionen ab, zum Beispiel mit der Einstellung, Anerkennung nur durch Leistung zu bekommen, Perfektionismus oder dem Gefühl alles alleine bewältigen zu müssen. Das sind innere Glaubenssätze, die wir in der Regel aus unserer Kindheit mitnehmen, die unterbewusst sein können, die uns aber in eine Burnout-Spirale hineintreiben können.

derStandard.at: Das heißt, Perfektionisten sind häufiger von Burnout betroffen?

Lalouschek: Perfektionisten könnten häufiger betroffen sein. All diese Faktoren sind nicht für sich genommen krankhaft. Das heißt jeder von uns trägt ein größeres oder kleineres Quäntchen dieser Faktoren in sich. Wenn jemand allerdings von einem oder mehreren Faktoren besonders viel mitbekommen hat, wird diese Person eher Burnout gefährdet sein.

derStandard.at: Wie sieht eine Burout-Spirale aus?

Lalouschek: Burnout ist kein Schwarz-Weiß-Phänomen in dem Sinne, dass wir es immer mit "Ja" oder "Nein" diagnostizieren können. Es ist ein schleichender Prozess, der sich phasenweise entwickelt. Hier wird von der Burnout-Spirale gesprochen, in die Menschen hineinkommen können. Am Anfang der Spirale steht häufig etwas wie besonderer Idealismus und Leistungswille sowie Überengagement. Es kommt zu einer schleichenden Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse, zur Verleugnung von Konfliktsituationen am Arbeitsplatz, zur Veränderung der eigenen Werte, das können auch berufsethische Einstellungen sein.

Die nächste Phase der Burnout-Spirale ist gekennzeichnet durch Verleugnung, dass überhaupt ein Problem besteht. Das kann den ganzen Burnout-Prozess begleiten. Es kommen immer gravierendere Symptome dazu: Einerseits sozialer Rückzug, eine "Verflachung des Lebens", das heißt, nichts ist mehr wirklich wichtig, zunehmende innere Leeregefühle, schwere Depressionen, körperliche Erkrankungen bis hin zum totalen Zusammenbruch. Manchmal kommt es tatsächlich leider auch zum Selbstmord. Das ist der einzige nicht umkehrbare Zustand, aus allen anderen Stufen dieser Spirale gibt es Wege zurück.

derStandard.at: In Sozialberufen tätige Personen sind überdurchschnittlich oft betroffen. Gibt es seitens der Arbeitgeber Bewusstsein für Burnout bzw. werden präventive Maßnahmen gesetzt?

Lalouschek: In den letzen Jahren ist das Bewusstsein gegenüber Burnout angestiegen, sowohl in der arbeitenden Bevölkerung als auch bei den Arbeitgebern. Allerdings wird zu wenig dagegen getan, vor allem in der Vorbeugung. Wir haben immer wieder die Situation, dass Menschen ins Burnout geraten und tatsächlich aus dem Arbeitsprozess ausfallen. Dann sind alle erschreckt, schockiert und es werden Maßnahmen für diese Person eingeleitet. Aber wesentlich effizienter könnte man in der Burnout-Prävention sein.

derStandard.at: Wie könnten sich Präventionsmaßnahmen gestalten?

Lalouschek: Solche Maßnahmen sollten generell auf allen Ebenen einer Organisation stattfinden. Bei den einzelnen Personen selbst, im Sinne einer ausreichenden Psychohygiene, beispielsweise im Erlernen der eigenen Grenzen und in der Erhaltung der "Work-Life-Balance". Oft arbeiten Menschen auch in Teamsituationen, auch hier lassen sich Maßnahmen setzen, etwa begleitende Supervision und Coaching, um die gemeinsamen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und mögliche Konflikte frühzeitig bearbeiten zu können.

Besonders wichtig ist auch die Ebene der Führungskräfte, denn einerseits sind Führungskräfte selbst besonders Burnout gefährdet, andererseits haben sie eine besondere Verantwortung in der Vermeidung von Burnout bei Mitarbeitern, da der Führungsstil auch mit dem Auftreten von Burnout korrelieren kann. Weiters auch im frühzeitigen Erkennen möglicher Burnout gefährdeter Mitarbeiter.

derStandard.at: Die Grenze zwischen Burnout und Stress ist oft nicht ganz trennscharf. Wird dieser Begriff teilweise in missbräuchlichem Zusammenhang verwendet?

Lalouschek: Der Kenntnisstand der Personen, die beruflich mit Burnout-Betroffenen zu tun haben - wie Arzte, Psychotherapeuten oder Coaches ist noch sehr verbesserungsfähig. Wir brauchen klare, gemeinsame und nachvollziehbare Definitionen, damit der Begriff nicht ausufert oder missbräuchlich verwendet wird und damit den Wert verliert, den er hat. Hier ist noch Aufklärungs- und Weiterbildungsbedarf notwendig.

derStandard.at: Vor einigen Jahren war Burnout vielen noch unbekannt und wurde belächelt. Wird Burnout mittlerweile in der Gesellschaft ernst genommen?

Lalouschek: Das Bewusstsein dafür, dass es ein ernstzunehmendes Phänomen ist, hat sich verbessert. Es gibt allerdings nach wie vor viele Menschen und das sind leider oft Führungskräfte, die Burnout mit Tachinieren oder mangelnder Belastbarkeit gleichsetzen. Die Führungsebene muss ein Bewusstsein für dieses Phänomen haben und auch selbst bereit sein, rechtzeitig gegenzusteuern.

Was oft in der Praxis zu wenig gelebt wird, aber wichtig ist, das sind Maßnahmen und Schritte, die die Organisation bzw. die Kultur der Organisation verändern. Führungskräfte tun sich oft schwer mit einem negativen Begriff. Daher hat es mehr Zukunft, wenn wir uns fragen, was wir denn statt Burnout haben wollen. Es geht viel mehr um das Positive und die positive Motivation, die die meisten von uns in die Arbeit mitbringen.

derStandard.at: In welche Richtung geht die aktuelle Forschung? Haben neue Erkenntnisse auf dem Gebiet Auswirkungen auf die Praxis und Behandlung?

Lalouschek: Ich koordiniere derzeit ein Modellprojekt zur Burnout-Prävention von Personal auf Intensivstationen. Bei Ärzten und Pflegepersonal werden Burnout und damit zusammenhängende Faktoren systematisch erhoben und gemeinsam mit den Teams Lösungs- und Verbesserungsmöglichkeiten entwickelt.

Die Behandlung von Burnout erfordert ein ganzheitliches und interdisziplinäres Vorgehen, eine singuläre Behandlung mit einer einzelnen Methode ist nicht professionell. Psychologie und Psychotherapie mit Medizin und anderen Verfahren müssen Hand in Hand gehen. Ergänzende Maßnahmen sind zum Beispiel Coaching, das besonders in der Prävention sehr hilfreich ist und verschiedene Formen von Entspannungsmethoden. Das ist auch die Behandlung, die wir derzeit an unserem Institut als Standardmodell praktizieren. (Ursula Schersch, derStandard.at, 8. September 2008)