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Herr - und Diener - der Bücher. Vom Mythos der Antike bis zur Literatur der jüngsten Gegenwart: Wendelin Schmidt-Denglers Leidenschaft für die Literatur erstreckte sich über alle Epochen. 

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Der "Literatur-Papst" war wiederholt als Verteidiger junger Autoren aufgetreten.

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Wien – In gut einem Monat hätte er im Rahmen der Frankfurter Buchmesse den „Preis der Kritik" erhalten sollen: 99 Flaschen Wein und eine Werkausgabe Heinrich Heines. Wendelin Schmidt-Dengler wird diesen Preis, der für herausragende literaturkritische und literaturvermittelnde Verdienste verliehen wird, nicht mehr in Empfang nehmen können. Am Sonntag starb der weit über die Landesgrenzen hinaus geschätzte Doyen der Germanistik und Literaturwissenschaften völlig überraschend im Alter von 66 Jahren.


Wendelin Schmidt-Dengler war nicht nur Österreichs bekanntester Germanist und Literaturkritiker, er war ein streitbarer Intellektueller vieler Eigenschaften: ein beliebter und begeisternder Lehrer, der sich auch in Uni-politische Fragen einmischte und dabei nicht mit Kritik am Uni-Reform-Furor sparte; ein polyglotter Gelehrter, der in der Literatur der Antike genauso bewandert war wie in der zeitgenössischen Avantgarde; ein wortmächtiger und zugleich humorvoller Literaturvermittler, der sich in der Öffentlichkeit wie kein Zweiter für Bücher einsetzte. Und nicht zuletzt war er der prominenteste Fußballexperte und Rapid-Fan unter den Intellektuellen des Landes.

Aus Liebe zur Literatur

Am 20. Mai 1942 in Zagreb geboren, ging Schmidt-Dengler unter anderem in Weiz (Steiermark) in die Schule, ehe er an der Universität Wien die Fächer Latein, Griechisch und Germanistik inskribierte. Germanistik wollte er eigentlich nicht studieren, weil er Literatur liebte: "Ich dachte, das ist ein Bereich, den ich für mich behalte."

Wie sich Schmidt-Dengler vor wenigen Monaten in letzten Interview mit dem Standard erinnerte, war auch Mathematik ursprünglich zur Wahl gestanden – mit Verweis darauf, dass Geisteswissenschaften zu Unrecht oft als die „soft sciences" abgetan würden. "Im Grunde haben unsere Fächer einen genauso harten Kern, verlangen eine beinharte Arbeit und auch entsprechende Exaktheit." Dass es ihn im Anschluss an seine Promotion (über Aurelius Augustinus' Confessiones) nicht als Lehrer ans Gymnasium, sondern 1966 als Assistent ans Germanistik-Institut der Universität Wien verschlug, sei Zufall gewesen, meinte er damals mit dem ihm eigenen Understatement. Und so habe sich dann Chance um Chance ergeben: 1980 wurde er Professor ebenda, später auch Institutsvorstand. Daneben lehrte Schmidt-Dengler an den Universitäten in Pisa, Neapel, Klagenfurt, Salzburg, Graz und Stanford. 1996 übernahm der Vielarbeiter dann noch die Leitung des damals neu gegründeten Österreichischen Literaturarchivs an der Österreichischen Nationalbibliothek, das er zu einer der bedeutendsten Literaturinstitutionen im deutschen Sprachraum ausbaute.

Glänzende Karriere aus Zufall

Ebenso wie seine glänzende akademische Laufbahn sei auch seine Karriere als öffentlichkeitswirksamer Literaturkritiker nicht groß geplant gewesen: "Man hat als Assistent nicht sehr viel verdient. Und beim Rundfunk gab es die Möglichkeit, für 600 Schilling eine Rezension zu schreiben und dann auch noch das Buch dafür zu kriegen." Dass er es in seiner vier Jahrzehnte währenden Laufbahn nicht nur zum produktivsten Germanisten, sondern auch zum führenden Literaturkritiker des Landes brachte, verdankte sich aber auch seinem legendären Arbeitsethos: "Ich habe mir vorgenommen, täglich 80 Seiten zu lesen – die Hälfte Belletristik und die Hälfte Wissenschaft – sowie ein bis zwei Typoskriptseiten pro Tag zu verfassen."

Schwerpunkte von Schmidt-Denglers vielfach preisgekrönter Tätigkeit waren die Antikenrezeption seit dem Humanismus, die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts sowie die österreichische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, für die wohl kein Germanist mehr getan hat als er. Die enorme Spannbreite seiner Publikationen reichte freilich noch weiter – bis hin zu kulturkritischen Essays und universitätspolitischen Interventionen. Erst für die Wochenendausgabe des Standard hatte Schmidt-Dengler unter dem Titel "Und sie können es doch" einen Kommentar über die Lese- und Schreibfähigkeiten der Studenten beigesteuert.

Nur noch für dieses Jahr hätte er Leiter des Literaturarchivs sein sollen – und dabei Herausgeber der Werke von Doderer, Herzmanovsky-Orlando und Thomas Bernhard. Dieser war neben Nestroy auch sein erklärter Lieblingsautor. Bei den beiden fand er auch Trost, wenn es ihm einmal nicht so gut ging. Wendelin Schmidt-Dengler erlag am Sonntag völlig überraschend einer Lungenembolie. (Klaus Taschwer/DER STANDARD/Printausgabe, 09.09.2008)