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Migrantin macht Integrationspolitik: Alev Korun

Foto: REUTERS/Foeger

Auf der Grünen Bundesliste kommt sie gleich hinter Alexander Van der Bellen und Eva Glawischnig: Alev Korun. Die Integrationssprecherin der Wiener Grünen dürfte als erste Migrantin in den österreichischen Nationalrat einziehen.  Ein Problem der Grünen sei, dass Sprüche wie "Ausländer raus" verständlicher sind als komplexe Integrationskonzepte, sagt sie im Interview mit derStandard.at. "Sie lösen die Probleme aber nicht", meint Korun, die ankündigt, für die Grünen auf Wiens Straßen auch auf Türkisch zu werben, und erklärt, warum LIF-Wirtschaftssprecher Hans-Peter Haselsteiner bei den Grünen "sicher nicht" aufgenommen würde. Die Fragen stellte Maria Sterkl.

derStandard.at: Sie werden die erste Migrantin im österreichischen Nationalrat sein. Eine Ehre? Oder Selbstverständlichkeit?

Korun: In gewisser Hinsicht ist es eine Ehre. Und auch ein historischer Moment – weil Österreich ja seit über 40 Jahren Einwanderer empfängt, sie bis jetzt aber von politischer Mitbestimmung weitgehend ausgeschlossen hat.

derStandard.at: Sie haben angekündigt, die Integrationspolitik zu ihrem Leibthema zu machen. Womit wird die Nationalratsabgeordnete Alev Korun von sich hören machen? Bitte um eine möglichst konkrete Antwort.

Korun: Ich möchte mich besonders für die Gleichberechtigung zugewanderter Frauen einsetzen, aber auch für die zweite Generation. Es soll Chancengerechtigkeit in der Schule, am Arbeitsmarkt, am Wohnungsmarkt, im Alltag geben.

derStandard.at: Das klingt alles sehr schön – trotzdem wirken die Grünen, wenn sie über Zuwanderung reden, oft sehr blass. Warum tun Sie sich so schwer damit, handfeste Forderungen zu präsentieren?

Korun: Ich hoffe, dass nicht nur "Ausländer raus"-Parolen als handfeste Forderungen gesehen werden, sondern auch konkrete Programme, die wir sehr wohl haben – Stichwort Integrationsbegleitung, Sprachförderung. Wir haben das Problem, dass markante Sprüche wie "Der gehört abgeschoben" viel plakativer sind, und auf den ersten Blick auch viel verständlicher. Sie lösen die Probleme aber nicht. Im Gegenteil – sie erzeugen eine Atmosphäre von Angst und Feindseligkeit in der Bevölkerung.

derStandard.at: Eine konkrete Forderung der Grünen ist das sogenannte Punktesystem der Arbeitsmigration – Österreich soll die MigrantInnen auf ihre Qualifikationen abklopfen, bevor es sie hereinlässt. Wer hätte bei diesem System die besseren, wer die schlechteren Karten?

Korun: Das grüne Einwanderungsmodell ist ja viel mehr als das Punktesystem: Wir fordern auch eine quotenfreie Familienzusammenführung und ein Bekenntnis zum Recht auf Schutz vor Verfolgung. Das Punktesystem besagt auch nicht, dass nur die Bestqualifizierten hereindürfen. Im Gegenteil: Es berücksichtigt Berufsqualifikationen, aber auch Sprachkenntnisse, Erfahrung, es prüft auch, ob Familienangehörige in Österreich Fuß gefasst haben und viele andere Dinge.

derStandard.at: Trotzdem: Das Punktesystem würde in gesuchte und weniger gesuchte Arbeitskräfte einteilen. Welche Arbeitskräfte würden es nach Ihren Kriterien nicht schaffen?

Korun: Einen konkreten Fall zu nennen, ist schwierig, es sollen ja unterschiedlichste Kriterien berücksichtigt werden, da kommt es immer auf die Gewichtung an. Ziel war jedenfalls, das derzeitige absurde Quotensystem zu überwinden. Menschen mit einer Berufsausbildung, die am österreichischen Arbeitsmarkt gesucht ist, mit ein bisschen Arbeitserfahrung und mit Familienbindung oder mit gewissen Sprachkenntnissen zum Beispiel in einer Minderheitensprache wie Türkisch oder Serbisch, haben sicher Chancen.

derStandard.at: Hätten Sie es mit dem Punktesystem geschafft, nach Österreich zu kommen bzw. nach dem Studium hier zu bleiben? Als Politikwissenschafterin mit Schwerpunkt Gender Studies sind Sie ja eher keine Schlüsselkraft.

Korun: Und es geht auch nicht nur um Schlüsselkräfte. Zu der Zeit, als ich eine Arbeitsbewilligung beantragt habe, war das Ausländerbeschäftigungsgesetz übrigens schon sehr restriktiv.

derStandard.at: Ist die Tatsache, dass Sie gebürtige Türkin sind, eine Chance für die Grünen, bei den AustrotürkInnen besser punkten zu können?

Korun: Ich kandidiere sicher nicht als "die Türkin", sondern als Grüne mit Erfahrung in Fragen der Menschenrechte und der Integration. Ich will Migranten unterschiedlichster Herkunft ansprechen. Ich verschweige aber meine türkische Herkunft nicht, sie gehört zu mir genauso wie mein Grünsein oder mein Feministischsein.

derStandard.at: Wenn Sie im Wahlkampf unter die Leute gehen – werden Sie mit den TürkInnen Türkisch sprechen oder Deutsch?

Korun: Es gibt sicher Migranten, die nicht so gut Deutsch können – mit denen kann ich dann auch Türkisch sprechen. Das ist sicher ein Vorteil von Mehrsprachigkeit.

derStandard.at: Hätte die ÖVP eine ihrer Wahlkampfforderungen, "Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung" schon durchgesetzt, wäre das nicht nötig. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Korun: Nichts. Erstens: Dass jemand die Landessprache noch nicht kann, wenn er einwandert, heißt ja nicht, dass das so bleiben muss. Da geht es um Bereitschaft und um Förderung. Zweitens: In vielen Regionen der Erde ist es schlicht nicht möglich, einen Deutschkurs zu absolvieren. Wenn jemand aus einem ländlichen Gebiet in der Türkei kommt, wo soll er dort Deutsch lernen?

derStandard.at: Sie sprechen von Bereitschaft und Förderung: Was ist, wenn die Förderung stimmt, aber die Bereitschaft oder auch einfach nur die Zeit fehlt? Sollen Menschen zum Deutschlernen verpflichtet werden?

Korun: Die Förderung haben wir bis heute nicht, den Zwang aber schon. Meiner Erfahrung nach wollen die allermeisten Migranten die Landessprache lernen, weil es ja in ihrem Interesse liegt. Es ist aber bezeichnend, dass man bei Migranten automatisch annimmt, dass sie „eh nicht wollen und man sie zu ihrem Glück zwingen muss“. Man muss bedenken, dass in Österreich lange Zeit die Angebote gefehlt haben und die Leute, die Deutsch lernen wollten, es nicht konnten. Wenn man jetzt behauptet, dass sie nicht willig sind, zäumt man das Pferd von hinten auf.
 
derStandard.at: Es gibt Zuwanderer, die seit dreißig, vierzig Jahren hier leben und sagen: Hätte man mich damals zum Deutschlernen verpflichtet, ich hätte mir viel erspart.

Korun: Viele dieser Zuwanderer sind ja hergekommen mit der Absicht, wieder zurückzugehen. Da ist ja die Motivlage eine andere. Fest steht, dass damals die Angebote gefehlt haben, heute gibt es sie. Und es ist eine Illusion, zu glauben, dass man Menschen zwingen kann, und dann werden sie sich liebend gern integrieren. Integration hat viel mit Sich-Einlassen auf etwas zu tun, das sage ich aus eigener Erfahrung. Wenn man aber immer zu etwas gezwungen wird, dann löst das keine Bereitschaft aus, selbst hinauszugehen und mitzumachen.

derStandard.at: Thema Schulklassen: Häufig wird kritisiert, dass es Klassen gibt, in denen alle oder sehr viele Kinder nichtdeutscher Muttersprache sind. Für Sie ein Problem?

Korun: Da wird etwas vermischt. Zum Beispiel wird meine kleine Tochter in den Statistiken sicher als Kind mit nichtdeutscher Muttersprache geführt werden – obwohl sie perfekt Deutsch sprechen wird. Das heißt: Wenn man nach dieser Statistik geht, sehe ich das Problem nicht. Wo ich sehr wohl ein Problem sehe, ist, wenn viele Kinder keine Deutschkenntnisse haben. Aber dagegen ist ein Kraut gewachsen: Man braucht genügend Kindergartenplätze, damit alle Kinder vor der Schule in den Kindergarten gehen können, wo sie spielend - auch voneinander - Sprachen lernen.

derStandard.at: Vielen ExiltürkInnen bereitet die zunehmende Islamisierung der Türkei Sorgen. Auch Ihnen?

Korun: Ja. Weil ich finde, dass Religion Privatsache sein sollte. Wenn jemand sich für eine Religion entscheidet, ist das zu respektieren, aber wenn daraus ein gesellschaftlicher Druck entsteht, dass zum Beispiel Frauen sich verschleiern müssen, dann ist das abzulehnen.

derStandard.at: Gleichzeitig sind die Grünen aber eine Partei, die immer schnell am Kopfschütteln war, wenn andere vor der Islamisierung Österreichs warnten. Ein Widerspruch?

Korun: Überhaupt nicht. Was Herr Strache mit Islamisierung meint, ist das Steigen des Anteils jener, die offiziell muslimischen Bekenntnisses sind – ohne Differenzierung, ob jemand fundamentalistisch oder säkular lebt. Da gibt es große Unterschiede. Wo man aber aufpassen muss, ist, wenn Religion als Politik verwendet wird.

derStandard.at: Wo liegt hier die Grenze?

Korun: Die Grenzen sind eindeutig durch die Gesetze gezogen. Wer sich nicht an die österreichische Rechtsordnung hält, hat mit Konsequenzen zu rechnen – von der Anzeige bis zur Verurteilung, und das unabhängig vom Bekenntnis. Und dann gibt es natürlich Bereiche, die uns vielleicht keine Freude bereiten und unserem Weltbild nicht entsprechen, gegen die man aber mit Gesetzen schwer vorgehen kann. Beispiel: Wenn mir ein Mann die Hand nicht geben will, weil ich eine Frau bin, dann gefällt mir das natürlich nicht. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass man das gesetzlich regelt, dass jeder Mann in Österreich einer Frau die Hand zu geben hat. Es gibt einfach Grenzen, was man alles mit Gesetzen regeln kann.

derStandard.at: Als Alexander Van der Bellen im derStandard.at-Chat gefragt wurde, mit welchen Positionen des Liberalen Forums er gar nicht könne, meinte er: "Schwierig." Finden Sie das auch so schwierig zu beantworten?

Korun: Ich kenne das Interview nicht und kann das daher nicht kommentieren. Es gibt sicher Punkte, wo ein großer Unterschied zwischen Grünen und LIF ist. Beispiel Wirtschaftspolitik, die einfach neoliberal ist. Weil ihre Steuerpolitik große Unternehmen bevorzugen würde, und nicht Menschen mit kleinen oder mittleren Einkommen.

derStandard.at: Das LIF will die Beitragsgrenze für Großverdiener anheben und die Steuergrenze für niedrige Einkommen anheben.

Korun: Das muss man sich aber genau im Detail anschauen. Sehr hinterfragenswert finden wir auch die Rolle, die Herr Haselsteiner einnimmt, der im LIF eine große Rolle spielt und gleichzeitig als Unternehmer mit Herrn Deripaska aus Russland im großen Stil Geschäfte macht. Und der ist ja nicht gerade ein Aushängeschild für Menschenrechte.

derStandard.at: Angenommen, Hans-Peter Haselsteiner heuert bei den Grünen an: Werden Sie ihn ablehnen?

Korun: Er hätte ganz sicher keine Chance bei uns.

(Maria Sterkl, derStandard.at, 8.9.2008)