Balatonföldvár - Der Balaton (Plattensee) ist ein altehrwürdiger See, dessen touristische Geschichte zurückreicht in die Zeit der klassischen Sommerfrische. Das schützt Europas größten See allerdings auch nicht vor den Fährnissen der neueren Zeit, die da heißen: Rückgang ausländischer Gäste, rückläufige Wertschöpfung durch geringere Aufenthaltsdauer und Zurückhaltung beim Geldausgeben wegen der allgemeinen Inflation und des rasant gestiegenen Forint-Kurses.

Nicht dass der Balaton tatsächlich ein veritables Problem hätte. Aber angesichts des touristischen Potenzials beginnt man allmählich, die einzelnen Zeichen als Tendenz zu verstehen - und beginnt, entsprechende Antworten zu suchen.

Eine derer liegt europaweit auf der Hand: Saisonverlängerung. Denn der Balaton lebt bloß zwei Monate im Jahr, was natürlich die Investitionsbereitschaft deutlich dämpft. Und an dieser Stelle kommen - überall in Europa und so auch am Plattensee - die Kulturmanager ins Spiel. Etwas böse gesagt: Wenn die Zeichen der Zeit allmählich auf Sturm drehen, holen sich selbst die smartesten Checker Rat von den Malern, den Bildhauern, den Schreibern und den Musikanten.

Günstige Gelegenheit

Der Balaton hat diesbezüglich eine günstige Gelegenheit. Im Jahr 2010 wird das südungarische Pécs europäische Kulturhauptstadt sein. Und in ihrem Windschatten will sich der Balaton profilieren. Ende August fand am Südufer, in Balatonföldvár, eine dreitägige internationale Konferenz statt, auf der einschlägige Möglichkeiten ausgelotet und vergleichbare Programme aus ganz Europa präsentiert und diskutiert wurden - von der atlantischen Loire-Mündung über den Neusiedler See und das brandenburgische Kohlerevier bis zur polnisch-litauischen Grenze.

Das Motto lag auf der Hand: Balaton - Európa Kulturális Tava, Europas Kultursee. Aber falls sich jemand der Teilnehmer der Illusion hingegeben hat, diesbezüglich sei mit einer gemütlichen Galerie, einem feinen Konzertreigen oder dem stolzen Hinweis auf hier einst sommergefrischt habende Künstler das Auslangen zu finden, so wurde er von den internationalen Referenten sehr rasch enttäuscht.

Am beeindruckendsten wohl Michael Feiler, der das Projekt der Internationalen Bauausstellung an der Unteren Lausitz vorstellte, das nichts weniger ist als der Versuch, das noch zu DDR-Zeiten völlig devastierte Braunkohlerevier insgesamt zu sanieren. Die kulturellen Aspekte des Projekts vermengen sich hier nahtlos mit dem Naturschutz und der ökonomisch-sozialen Regionalentwicklung und damit mit der hohen und höchsten Politik, die dem Ganzen in Form eines ansehnlichen Budgets ja den Sanktus geben muss.

Dass so etwas nicht mit dem zu machen ist, was man unter "Kulturbudget" versteht, ist klar. Die Einladung der ungarischen Projektchefs, Péter Horgas und Marton Méhes, an den deutschen Kollegen kam deshalb auch nicht ganz zufällig. Er sollte den anwesenden Politikern - den Bürgermeistern vor allem - die Notwendigkeit deutlich machen, entsprechend ins Börsel zu greifen. Indem er ihnen auch deutlich machte, dass "Kultur" keineswegs jenes schmückende - aber im Grunde überflüssige - Beiwerk ist, als das sie normalerweise gehandhabt wird.

Interesse in Budapest

Freilich geschah, was weder einen gelernten Ungarn, noch einen gelernten Österreicher wirklich überraschen konnte. Marton Méhes, der dabei war, das Programm für Pécs 2010 zu entwickeln, wollte oder konnte seine Enttäuschung dennoch nicht verbergen: "An die 160 Bürgermeister haben wir eingeladen." Anschauen lassen hat sich bloß die Gastgeberin Katalin Bezeréti, die Bürgermeisterin von Balatonföldvár, und einer ihrer Kollegen. Aber immerhin haben die Stadt Pécs und das Budapester Kulturministerium ihr Interesse am Kultursee deponiert.

Vielleicht ließen sich sogar die Twin-Citys Wien und Bratislava dafür erwärmen. So jedenfalls kann man den bei Projektlancierern beliebten Geografieschmäh des Péter Horgas interpretieren. Der zeigte auf eine Karte und siehe: Im Zentrum des Dreiecks Wien-Budapest-Pécs liegt - ganz genau - der Plattensee, den im ersten Halbjahr 2008 immerhin knapp eine halbe Million Menschen besucht haben.

Eine wesentliche Funktion dieses Gewässers wird übrigens 2009 ins Zentrum europäischer Besinnung gerückt. János Can Togay, der Leiter des Berliner Collegium Hungaricum, präsentierte bei der Konferenz in Balatonföldvár das Buch- und Ausstellungsprojekt "Der Balaton und die Wende" . Immerhin war der Plattensee jahrzehntelang der wichtigste deutsch-deutsche Treffpunkt, von dem vor dann 20 Jahren auch der Berliner Mauerfall seinen Ausgang genommen hat. (Wolfgang Weisgram/DER STANDARD, Printausgabe, 9.9.2008)