Und die Zeit läuft...

M. hat sich endlich entschlossen, die Bibliothek aufzusuchen und Bücher auszuleihen. Er wollte einen ersten Schritt in Richtung Diplomarbeit wagen. Das Schicksal war gegen seine Entscheidung und ausgerechnet an diesem Tag muss M. feststellen, dass auch die Bibliotheken Sommerferien machen.

Fast jeder Student kennt sie, die Blockade vor dem Schreiben einer Seminararbeit oder eben der Diplomarbeit. Der Wille ist - zumindest manchmal und ein bisschen - da, die Ausführung der Pläne scheint aber unmöglich. Solange die Fenster nicht - zum dritten mal in dieser Woche - geputzt sind, die Mails nicht - zum siebzehnten mal an diesem Vormittag - gecheckt sind und der Kühlschrank nicht abgetaut und neu sortiert ist, kommt ein Anfangen gar nicht in Frage. Und obwohl eine regelmäßige Reinigung der Wohnung durchaus zu unterstützen ist, wächst bei jedem Handgriff das schlechte Gewissen.

Die Frustration, die einen in so einem Fall überfällt, hat Johnny Kelly dazu gebracht, das folgende Video zu machen. Für ihn hat "Procrastination" (Verzögerung/Aufschub) nicht nur mit dem Schreiben von Diplomarbeiten zu tun, er kennt das Gefühl von unterschiedlichen kreativen Prozessen.

"Die Produktion des Videos hatte für mich einen erlösenden Effekt", erzählt der Filmmacher und fügt hinzu: "und ich hoffe, dass es den Sehern ähnlich geht."

Die Ursachen für das im Video gezeigte Verhalten können vielseitig sein, erklärt Kathrin Wodraschke von der Studentenberatung Wien im Gespräch mit derStandard.at. "Vor allem im Fall von Diplomarbeiten liegt es oft daran, dass die Studenten kein Verständnis für wissenschaftliches Schreiben haben, ihnen fehlt die Übung und die Routine." Wenn das, was man eigentlich während des Studiums erlernen hätte sollen, fehlt, kommt es oft zu einer Verunsicherung. "Manchmal liegt das fehlende Wissen an den Studenten selbst, manchmal aber auch am Studienplan", sagt Wodraschke. Die Übung sei sehr wichtig, so die Psychologin, nur so könne man sich der Sache etwas entspannter nähern.

Das "Vermeidungsverhalten", wie das Hinausschieben der Arbeit genannt wird, entsteht aber auch oft aus einem anderen Grund: "Wenn wir Diplomarbeit schreiben sollen, dann bedeutet das das Ende des Studiums. Wir sind also dabei, eine uns bekannte Welt zu verlassen und einen unbekannten Schritt hinaus in die rauhe Arbeitswelt zu wagen", erklärt Wodraschke. So gesehen sei das Verhalten eine Art Selbstschutz. Wie sinnvoll die Strategie allerdings ist, sei dahin gestellt.

Die Studentenberatung bietet wöchentliche Treffs von Diplomandengruppen an. In diesen Gruppen werden in kleinen Schritten die Anfangsschwierigkeiten beseitigt und die Studenten zum Erreichen ihres Ziels geführt. Dafür muss man, sagt Wodraschke, allerdings schon zwei wichtige Schritte gemacht haben: Man muss das Problem als solches erkannt haben und sich entschieden haben, etwas daran zu ändern. Wenn das noch nicht der Fall ist muss man eben noch ein paar Fenster putzen, Bleistifte spitzen und Webseiten und Postfächer nach neuen Nachrichten durchsuchen. (Sophie Preisch, derStandard.at, 14.9.2008)