Wien - Mit großer Bestürzung hat die österreichische Presse auf den überraschenden Tod Wendelin Schmidt-Denglers reagiert. Nachrufe würdigen seine Leidenschaft für die Literatur, seine Fähigkeit, sie weiterzugeben und seine Expertise, die über die Bücher bis zum Fußball hinausreichte.

Die Presse

"Die österreichische Literaturwelt, seine Zuhörer in den zum Bersten gefüllten Hörsälen und vor den Radiogeräten, bei Literaturveranstaltungen und Streitgesprächen hat er immer wieder überrascht, mit seinem sprunghaften Ideenreichtum, seiner literarischen Universalbildung, seinem sprühenden Witz, seiner blitzschnellen spitzen Zunge und seiner leuchtenden Lebendigkeit", fasst die "Presse" die Verdienste Schmidt-Denglers zusammen. Gleichzeitig sei er das "Gegenteil eines Literaturpapstes a la Reich-Ranicki" gewesen, sondern habe sich auf "Polyphonie" verstanden. "Nein, Schmidt-Dengler taugt nicht zum toten Denkmal, seine Worte nicht, um in Stein gemeißelt zu werden. Aber wenn Herz und Seele der österreichischen Literatur in einem Menschen Platz hätten, dann hätte man - bis zu diesem Wochenende - gewusst, wo sie zu suchen sind."

DER STANDARD

"Wendelin Schmidt-Dengler war nicht nur Österreichs bekanntester Germanist und Literaturkritiker, er war ein streitbarer Intellektueller vieler Eigenschaften: ein beliebter und begeisternder Lehrer, der sich auch in Uni-politische Fragen einmischte und dabei nicht mit Kritik am Uni-Reform-Furor sparte; ein polyglotter Gelehrter, der in der Literatur der Antike genauso bewandert war wie in der zeitgenössischen Avantgarde; ein wortmächtiger und zugleich humorvoller Literaturvermittler, der sich in der Öffentlichkeit wie kein Zweiter für Bücher einsetzte", heißt es in "DER STANDARD". "Und nicht zuletzt war er der prominenteste Fußballexperte und Rapid-Fan unter den Intellektuellen des Landes."

Wiener Zeitung

"Wenn die verbrauchte Nachrufs-Floskel "plötzlich und unerwartet" noch einen Sinn hat, dann beim abrupten Tod Wendelin Schmidt-Denglers", eröffnet die "Wiener Zeitung" ihren Nachruf. "Denn dieser Wiener Professor für Literaturwissenschaft war bis zuletzt in der Öffentlichkeit präsent wie kaum ein andere Vertreter seines Faches. Als leidenschaftlicher und kurzweiliger Redner war er bereit und imstande, auch in der nicht-akademischen Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen. Dabei sprach er nicht nur über Literatur, sondern kommentierte etwa vor kurzem noch kenntnisreich die Spiele der Fußballeuropameisterschaft." Über dieser medialen Präsenz dürfe allerdings nicht vergessen werden "dass Schmidt-Dengler in erster Linie Wissenschafter gewesen ist".

Kurier

"Es war die Leidenschaft, die den 1942 in Zagreb Geborenen ausmachte", heißt es im "Kurier". "Sein Wissen machte Angst. Man musste glauben, er hatte jahrelang Nächte durchgelesen. "Wie lesen Sie?" wurde er gefragt. Antwort: "Gerne und schnell"". "Er ist tot, das kann nicht sein: Eben erst wurde bekannt, er bekommt auf der Frankfurter Buchmesse den "Preis der Kritik". 99 Flaschen Wein und eine Gesamtausgabe Heinrich Heines wären der Preis gewesen."

"Der polyglotte Gelehrte, der stets brillant Wissen und Witz vereinte, um seine geliebte Literatur über ein bloßes Bildungsgut hinauszuheben, starb am Sonntagabend 66-jährig an einer Lungenembolie", so die "Kleine Zeitung", die Schmidt-Denglers Vortrag beschreibt: "Da redete einer, als ginge es um sein Leben. Und das tat es ja auch. Bücher, die waren sein Leben."

Salzburger Nachrichten

Einen "Gelehrten im besten Sinn" würdigen die "Salzburger Nachrichten": "Seine Bildung war umfassend, sie blieb ihm nie reiner Selbstzweck. Er stand auf dem Fundament der Tradition der großen klassischen Literatur und Philosophie und wusste deren Brillanz der Argumentation und scharfe Art des Denkens auf die unmittelbare Gegenwart anzuwenden." Seine Vorlesungen seien einzigartig gewesen: "Er war ein blendender Rhetoriker, der seine Zuhörer nie im Zweifel ließ, dass man als Leser teilnimmt an den elementaren Dingen des Lebens."

Ö1 Morgenjournal

Im Ö1-Morgenjournal kamen auch einige Autoren zu Wort. Robert Menasse reagierte tief betroffen auf den Tod seines Doktorvaters: "Ich fühle mich buchstäblich verwaist, seitdem ich von seinem Tod erfahren habe. Ich habe von ihm ganz entscheidende Dinge im Hinblick auf Literatur und Leben gelernt, wobei ich vor allem von ihm gelernt habe, wie sehr die beiden Dinge zusammengehören. Es ist so seltsam, dass man als Mann des Wortes über einen Mann des Wortes plötzlich nur mehr stammeln kann." Und Friederike Mayröcker: "Ein großer Freund, er ist gestorben vor einem Tag. Er, der große Meister der Literatur. Wir haben ihn alle geliebt - was für ein Schmerz!"

Essayist Franz Schuh rühmte Schmidt-Denglers Verdienste um die Gegenwartsliteratur: "Schmidt-Dengler hat den Blick geöffnet. Sowohl inhaltlich als auch von seiner Person her steht er für eine Emanzipation, ohne die es wissenschaftlichen Fortschritt nicht gegeben hätte." Ähnlich der Architekt und Schriftsteller Friedrich Achleitner im Morgenjournal: "Er hat damit unglaubliche Verdienste erworben, weil er die Germanistik eben nicht zu einer isolierten, abgehobenen Wissenschaft gemacht hat, sondern zu einem Impulsgeber der ganzen kulturellen Landschaft." (APA)