"Was ich nicht will ist ein Schmusedialog."

Foto: derStandard.at/Honsig

"Es ist einfach zu kurz gegriffen, davon auszugehen, dass zum Beispiel Arbeitslosigkeit automatisch Radikalität auslöst."

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"Wenn wir irgendwo Bomben abwerfen, wird das natürlich als Angriff gesehen und dann ist es möglich zum „Verteidigungs-Dschihad" aufzurufen."

 

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"Es wird aber keinen Dialog von Islamisten einfach so geben, man muss den ersten Schritt machen und schon klar formulieren, was man will."

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"Teile des Islam sind gefährlich."

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Am elften September stieg er in ein Flugzeug nach Kairo. Fünf Jahre nach den Anschlägen in den USA reiste der Journalist Wolfram Eberhardt in zwei Monaten von Ägypten nach Beirut. Er besuchte die Brennpunkte des arabischen Raums und versuchte zu verstehen, was Selbstmordattentäter antreibt und welche Rolle der Islam dabei spielt. Die Ergebnisse seiner Recherchen hat er nun in dem Buch "Im Auftrag Allahs. Gläubige, Fanatiker, Terroristen" veröffentlicht.

derStandard.at: Ihr Buch stellt am Klappentext die Frage, wo Dialogbrücken zum Islam zu bauen sind. Können Sie dieses Anliegen näher definieren?

Eberhardt: Wir müssen uns vielleicht erstmal um das Wort Dialog kümmern. Was ich nicht will ist ein Schmusedialog. Der Westen hat zwar viele Gemeinsamkeiten mit der arabisch-islamischen Welt, aber ich suche nach den Unterschieden. Deswegen bin ich losgereist und wollte mit den Muslimen persönlich sprechen.

Die Probleme des Westens mit dem Islam lassen sich mit vier Stichwörtern umreißen: Der Dschihad-Gedanke, das Märtyrertum, die Scharia (die islamische Rechtsordnung, Anm.) und der Umma-Gedanke. Dieser Gedanke bedeutet, dass Muslime sich nicht als zu Nationalstaaten zugehörig definieren, sondern als großes Ganzes.

Deswegen gibt es plötzlich brennende Botschaften in Jordanien oder im Libanon, wenn in Dänemark der Prophet beleidigt wird. Das ist für uns sehr erstaunlich. Damit können wir nicht umgehen. Ich bin in die Gegend gereist, um herauszufinden inwieweit diese Menschen ihre Handlungsweise aus dem Islam ableiten.

derStandard.at: Blendet man durch die Konzentration auf den Islam nicht andere Faktoren für die Radikalisierung im Nahen Osten aus?

Eberhardt: Ich glaube eher, dass es andersrum ist. Wir versuchen immer, alle anderen Faktoren einzublenden: soziale Komponenten, Bildung oder Politik. Wir haben uns noch gar nicht auf den Islam konzentriert. Das beste Beispiel ist ein Gespräch mit der Familie eines Selbstmordattentäters aus dem Gaza-Streifen, das im Buch vorkommt. Der Attentäter war kein verzweifelter Mensch, der schlimm gelitten hatte. Er hatte einen ganz normalen Beruf, war eingebunden in die Gesellschaft und wurde auch nach seinem Tod nicht geächtet, weil er sich umgebracht hat.

Er ist ein Märtyrer geworden – ein Schahid. Das ist jemand, der ein Zeugnis abgelegt hat, dass er an Allah und seinen Propheten glaubt. Er zeigt, dass er auch bereit ist, sein Leben dafür zu opfern. Und er bekommt dafür eine enorme Belohnung: Ein normaler Muslim ist sich nicht sicher, ob er ins Paradies kommt – egal wie viele gute Taten er vollbracht hat. Der Märtyrer kommt direkt dorthin und darf auch noch für 70 Verwandte um Einlass bitten. Die Familie wird hoch geachtet. Wir stellen uns immer vor, dass das arme unterdrückte Menschen sind.

derStandard.at: Hohe Arbeitslosigkeit und schlechte soziale Bedingungen spielen Ihrer Meinung nach keine Rolle?

Eberhardt: Es ist einfach zu kurz gegriffen, davon auszugehen, dass zum Beispiel Arbeitslosigkeit automatisch Radikalität auslöst. Natürlich spielt das auch eine Rolle. Wenn das Diesseits sehr schlecht ist, neigt man sich dem Jenseits zu. Aber das ist nicht die alleinige Triebfeder.

Eher muss man sich den Bildungsweg anschauen: In welche Kreise ist ein Islamist hinein gekommen? Hat er nur in der Koranschule die Grundschule absolviert? Macht er eine zweite Bildungsstufe, und lernt er dort auch zu reflektieren? Ein konkretes Beispiel: Im Koran steht "Und tötet sie (die Ungläubigen), wo immer ihr auf sie stößt". Wenn ich mir nicht bewusst bin, dass sich das auf das 7. Jahrhundert bezieht, muss ich tatsächlich kämpfen. Unter den radikalen Muslimen finden sich viele hoch gebildete Leute. Es kommt aber vor allem auf die Art der Bildung an und weniger auf den Grad.

derStandard.at: Warum ist in islamischen Ländern Religion nicht Privatsache?

Eberhardt: Es gab eine Zeit, in der das versucht wurde. Da kam die Ratio, die Vernunft, mit ins Spiel. In der Zeit vom neunten bis zum 13. Jahrhundert gab es bekannte muslimische Philosophen, die den menschlichen Intellekt auf eine ähnlich hohen Stufe wie den göttlichen Intellekt stellen wollten. Leider ist diese Entwicklung gestoppt worden. Das Argument gegen diese Entwicklung war, dass die Muslime nur stark sein können, wenn sie sich möglichst eng an den Koran halten. Im 19. Jahrhundert gab es noch mal einen kleinen Schritt – eine Annäherung an Europa. Das ist leider auch gescheitert. Mit dem Ersten Weltkrieg kam wieder die Gegenbewegung, das osmanische Reich brach zusammen.

Was wir heute Islamismus nennen begann 1928 mit der Gründung der Muslimbruderschaft in Ägypten. Heutige Reformkräfte müssten mit viel Widerstand rechnen. Es ist in den Köpfen der Menschen nicht drinnen, dass die Trennung zwischen Staat und Religion etwas Gutes ist. Es gibt in den meisten islamischen Staaten zwar Parlamente, aber es dürfen keine Gesetze gemacht werden, die der islamischen Rechtsordnung widersprechen.

derStandard.at: Was würden sie dem nächsten US-Präsidenten raten, um die Situation im Irak zu verbessern?

Eberhardt: Das ist sehr schwierig, denn die USA sitzen im Irak ein bisschen in der Zwickmühle. Ziehen sie sich zu schnell zurück, dann werden die dschihadistischen Gruppen im Irak und die Al-Kaida jubeln – sie werden es als Sieg ausschlachten und sie werden dadurch wieder verstärkt rekrutieren können. Ein langsamer militärischer Rückzug wäre sinnvoll.

derStandard.at: Eine ihrer Hauptthesen ist, dass die militärische Reaktion des Westens die Bereitschaft zur Gewalt in islamischen Ländern nur weiter anheizt. Hat das tatsächlich etwas mit der Religion zu tun, oder ist das lediglich die Neuauflage der profanen These "Gewalt erzeugt Gegengewalt"?

Eberhardt: Diese These, "Gewalt erzeugt Gegengewalt", liegt natürlich immer zugrunde. Aber es hat auch etwas mit der Religion zu tun. Die Freitagspredigt ist sehr politisch und ein Imam kann darauf Bezug nehmen, wo Muslimen Unrecht geschieht. Wenn wir irgendwo Bomben abwerfen, wird das natürlich als Angriff gesehen und dann ist es ihm möglich zum „Verteidigungs-Dschihad" aufzurufen.

derStandard.at: Sie behaupten also, dass der Islam eine gefährliche Religion ist?

Eberhardt: Teile des Islam sind gefährlich. Wie zu Beginn eben gesagt, "Umma"-Gedanke, Dschihad, Märtyrertum, Scharia. Damit kommen wir in Konflikte. Das macht aber höchstens zehn Prozent des Ganzen aus.

derStandard.at: Apropos "Umma"-Gedanke: Wie sind dann Kämpfe zwischen Muslimen möglich, wie zwischen der Hamas und der Fatah?

Eberhardt: Ein Krieg zwischen säkularen und religiösen Muslimen ist in den Augen der Religiösen immer problematisch. Der einzig legitime Krieg ist der gegen Ungläubige und nicht der gegen Gläubige. Die Attentäter im Irak rufen vor einem Angriff häufig "Takfir", erklären so auch Muslime zu Ungläubigen, damit sie ihn dann erschießen können. Diese Dinge werden in der muslimischen Gemeinschaft nicht diskutiert, weil es sie nicht geben darf.

derStandard.at: Sie beschreiben im ersten Kapitel ihres Buches ihren Freund Ahmed mit folgenden Worten: „Ahmed ist das Klischee eines Arabers. ... Die schwarzen Augen verwehren einem den Blick in die Seele. ... Eigentlich könnte genauso ein islamischer Terrorist aussehen." Sind diese wertenden Stehsätze für Sie journalistisch vertretbar?

Eberhardt: Damit wollte ich auch aufnehmen, welche Ängste und Vorurteile wir gegenüber dem Islam haben. Ich wollte die Stereotypen beschreiben um sie dann zu konterkarieren. Im nächsten Absatz erkläre ich dann ja, wie Ahmed wirklich ist. Lammfromm und außerdem schwul.

derStandard.at: Sie beschäftigen sich beruflich seit langer Zeit mit dem Nahen Osten und dem Islam. Was hat Sie persönlich auf Ihrer längsten Reise "überrascht"?

Eberhardt: Es haben mehr Leute mit mir geredet als anfangs vermutet, auch Radikale. Der Dialog selbst ist aber sehr viel schwieriger gewesen, als erwartet. Aber es ist wert, ihn zu führen. Es wird aber keinen Dialog von Islamisten einfach so geben, man muss den ersten Schritt machen und schon klar formulieren, was man will. (Manuela Honsig-Erlenburg, Michaela Kampl, derStandard.at, 10.9.2008)