Kušej, ehedem von Franz Morak nicht zu Gesprächen über die Burgtheaterdirektion eingeladen: "Man wünscht anderen Glück! Aus, fertig!"

Zur Person:  
Der aus Kärnten stammende Starregisseur Martin Kušej (47) prägte die Burg-Ära Bachler und die Salzburger Festspiele mit bildgewaltigen Inszenierungen. Ehe er 2011 das Bayerische Staatsschauspiel übernimmt, beschließt er mit Schönherrs "Weibsteufel"  seine österreichische Schauspiel-Ära.

Foto: Fischer

Martin Kušej inszeniert nicht nur Opern in München und Wien. Ein Gespräch mit Ronald Pohl vor der "Weibsteufel"-Premiere am Freitag im Wiener Akademietheater.

Standard: Karl Schönherrs "Der Weibsteufel" ist im alpinen Milieu angesiedelt. Eine Frau gerät zwischen zwei Männer; sie wird zum Opfer erotischer Manipulationen, trägt am Schluss aber über beide den Sieg davon. Steckt in diesem knorrigen Stück Heimatliteratur nicht einfach eine Komödie?

Kušej: Das versucht mir mein Dramaturg auch andauernd einzureden! Ich muss zugeben: Wenn der Stoff verrutscht, die Schauspieler die Spur verlieren, dann wird das Stück zur Komödie. Aus dieser wird eine Boulevardkomödie - und am Schluss bleibt die Schmierenkomödie übrig. Wenn wir über den Begriff der Komödie seriös sprechen, dann teile ich den Eindruck. Ich müsste mich als "Komödiant" aber zu sehr verleugnen. Ich spüre viel zu viele emotionale Sprenggruben, um an denen ignorant vorbeigehen zu können. Da springe ich lieber in sie hinein!

Standard: Ist die Frau wirklich die Siegerin in einer Auseinandersetzung, in der ein Ehemann allen Ernstes versucht, seine Gattin an einen "Grenzjäger" zu verhökern?

Kušej: Die Tendenz bei Schönherr, dessen Stück 1915 Burgtheater-Premiere hatte, ist bei allen präfaschistischen Prägungen eine emanzipatorische. Ich habe einen Bogen über drei meiner Inszenierungen geschlagen: In allen dreien bleiben Frauen triumphierend zurück, die ihre Männer losgeworden sind - die sich allesamt in ihrer emotionalen Berechenbarkeit verloren haben. Der Sieg der Frau ist evident. Und doch bleibt ein schaler Beigeschmack zurück, den ich bei den Hauptdarstellerinnen schon im Probenprozess immer bemerkt habe.
Dreimal habe ich das inszeniert: mit Horváths Glaube Liebe Hoffnung, mit Schönherrs Glaube und Heimat, in dem Stück jetzt ... Ich selbst würde mich ja als modernen Mann bezeichnen, der ein großes Herz für die weibliche Emanzipation hat. Als solcher nehme ich die einzige Haltung an, die real ist: die Durchsetzung einer radikalen Befreiungsutopie erlegt Kosten auf!

Standard: Die Frau im "Weibsteufel" gewinnt - und verliert zugleich?

Kušej: Wenn du ganz generell etwas zerstörst, wie das zum Beispiel in Revolutionen passiert, da gibt es ein Stehen vor den Trümmern! Du musst Verluste kalkulieren. In der Mann-Frau-Beziehung bin ich ganz bestimmt der Meinung, dass die Verhältnisse einander bedingen, einander hervorrufen.

Standard: Sie haben Österreich immer als Schicksalsboden aufgefasst: Nicht nur die Seelen müssen verändert - die Erde muss buchstäblich umgewälzt werden. "Heimat" drückt auf die Psyche. Sie verlassen Wien mit Ende der Ära Bachler 2009. Haben Sie einfach auch eine Erzählreihe zu Ende gebracht, ehe Sie 2011 Intendant des Bayerischen Staaatsschauspiels werden?

Kušej: Es fehlen für mich zwei große Komplexe, und die heißen Schnitzler und Bernhard. In die Form des Burgtheaters umgegossen: Ja, es gibt einen interessanten Abschluss. Das neue Stück erfüllt alle von Ihnen genannten Attribute. Zugleich versuchen wir, einen Bogen zwischen Euripides und Beckett zu spannen. Die Bühne voller gefällter Bäume erzeugt hoffentlich die Assoziation eines Terrariums. Man könnte sich fragen: Wo ist die grüne Mamba, wo die Kreuzspinne? Tatsächlich leben die drei Figuren bei uns wie unter einem Beobachtungsglas. Schönherr beschreibt, wie die gelogene Liebe plötzlich nicht von der "authentischen" zu unterscheiden ist.

Standard: Sie verlegen Ihr Zentrum nach München. Lässt sich Ihr Erzählprojekt dort aufrechterhalten? Das Motto lautete: Die Aufklärung hat Österreich viel zu spät erreicht ...

Kušej: Ich glaube nicht, dass ich in Bayern eine Geschäftsidee mit "regionalbezogener" Literatur verfolgen werde. Ich sähe die Latte am Bayerischen Staatsschauspiel höher liegen: Ich würde dieses Haus lieber zum Deutschen Nationaltheater ausrufen und in einem größeren Umfeld agieren wollen.

Standard: Inwieweit ist Österreich noch relevant für Sie - als Ort, dem Sie, auch als potenzieller Burgtheaterdirektor, achselzuckend den Rücken gekehrt haben?

Kušej: Eine gute Beschreibung: Es wird einem ja immer Beleidigtsein unterstellt. Unsinn: Ich mache meinen Job und habe Spaß. Das beste Beispiel ist für mich mein Vater, der 45 Jahre lang in Kärnten Volksschuldirektor war: Er warf am letzten Tag den Schlüssel in den Postkasten! Und ging nie wieder hin. Ich trauere auch Salzburg keine Sekunde lang nach. Wir haben das Haus "gerockt" . Und den anderen, die es jetzt machen, wünscht man Glück. Aus, fertig.
Natürlich habe ich bereits Überlegungen für München angestellt. Ich werde mich hüten, sie festzumachen. Ich habe zu viele designierte Intendanten gesehen, die übervorbereitet waren - und denen vor dem Start die Luft ausging. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.9.2008)