Experimentelle Fotografie am Beispiel des ungarischen Fotografen André Kertész: "Distortion No.40"  (1933).

Foto: Sammlung Fotografis

Beide holen die Kunst der Fotografie zurück ins museale Licht.

Wien/Budapest - "Plötzlich verstand ich, dass Fotografie Ewigkeit in einem Moment festhalten kann", sagte Henri Cartier-Bresson 1930 angesichts eines Fotos von Martin Munkásci: Drei Jungen am See Tanganyika. Genau da soll Cartier-Bresson, einer der Helden der Fotografie des 20. Jahrhunderts, den Entschluss gefasst haben, seine Karriere - er hatte Malerei studiert - der Fotografie zu widmen. Und man versteht dies, wenn man das schicksalslenkende Bild sieht: Das Springen dreier Jungen in die Gischt gleicht einem Tänzeln. Eingefangen: der perfekte Moment.

Wie die Einstiegsdroge ins Medium gestaltet sich derzeit die wegen großen Erfolgs verlängerte, erste Fotografieausstellung des Budapester Museum der Schönen Künste: Body & Soul präsentiert mehr als 220 Werke von internationalen wie ungarischen Fotografen des frühen 20. Jahrhunderts bis heute.

Wie stiefmütterlich auch in Österreich das Medium Fotografie von institutioneller Seite lange Zeit - auch noch nach der Entdeckung am Kunstmarkt - gehandhabt wurde, zeigt sich in Wien. Seit 1986 wird die Sammlung Fotografis - nach 22 Jahren - nun erstmals wieder im Kunstforum der Bank Austria gezeigt. Eine Art Wiederentdeckung der 1976 von Anna Auer und Werner Mraz  begründeten Fotosammlung, bevor die Kollektion mit Schwerpunkten auf die Anfänge der Fotografie und frühe Reisefotografie ganz aus Wien abgegeben wird: Als Dauerleihgabe geht sie 2009, nach einem Prag-Ausflug, an die Österreichische Fotogalerie im Museum der Moderne Salzburg, die große Gegenwartsbestände verwaltet.

"Es ist gut, dass die Sammlung nun in einem Museum aufgehoben ist" , meint Johannes Faber, Galerist und Spezialist für Fotografie der Klassischen Moderne. Obwohl es Faber gleichzeitig leidtut, dass sie nach Salzburg kommt - und nicht für die Fotosammlung der Albertina gewonnen werden konnte.

Dort wäre das möglich, was die Budapester Ausstellung - mithilfe von Leihgaben - erfolgreich zeigt: die lokalen Größen im Kontext internationaler Fotografen. Aber Ungarn war zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auch eines der herausragenden Zentren der Fotokunst. Neben Moholy-Nagy und André Kertész, von denen auch in Wien Arbeiten zu sehen sind, gehörten dazu József Pécsi, Rudolf Balogh, Olga Máté, Martin Munkásci oder der ungarnstämmige, berühmte Dokumentarist Robert Capa.

Aufbrechen von Chronologien

Im Kunstforum beginnt man schon ein halbes Jahrhundert eher und zeigt frühe fotografische Zeugnisse. Kleinode wie etwa Henry Fox Talbots Pflanzenblatt von 1944. Die raren österreichischen Beispiele, darunter Herbert Bayer, werden erst nach 1945 zahlreicher:Arnulf Rainers übermalte Mumienkopfserie, VALIE EXPORTS Einkreisung oder Arbeiten von Cora Pongracz, der 2003 verstorbenen Fotografin, der derzeit auch in der Galerie Senn eine Personale gewidmet ist. Was da wie dort wunderbar gelingt, ist das Aufbrechen schnöder Chronologien, indem in die Themenkapitel zeitgenössische Positionen eingeflochten werden. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.9.2008)