John McCains "running mate" Sarah Palin gab ihr erstes großes TV-Interview. Dabei machte sie keine groben Fehler, zeigte sich aber auch unbeleckt von außenpolitischem Wissen. Der Palin-Effekt litt nicht darunter.
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"Ich bin verloren in einem Blizzard von Worten", sagt Charles Gibson und sieht in diesem Moment aus wie ein Professor, der allmählich an den Antworten seiner Studentin verzweifelt. "Ist das nun ein Ja?"
Gibson ist das seriöseste Gesicht von ABC. Er spitzt selten zu, hebt nie seine Stimme. Manche werfen ihm vor, es den Regierenden mit allzu milden Fragen allzu leicht zu machen. Kaum überraschend war die Wahl auf ihn gefallen, als John McCains Riege einen TV-Mann fürs erste große Interview mit Sarah Palin suchte. Das Ergebnis: eine mittlere Blamage.
"Stimmen Sie der Bush-Doktrin zu?", fragt Gibson. "In welcher Hinsicht?", fragt Palin zurück. "Seiner Weltsicht?" "Nein, der Bush-Doktrin, formuliert im September 2002, vor dem Irakkrieg." Statt einer Antwort kommt ein einstudiertes Statement. Lobend spricht die Politikerin davon, dass George W. Bush versucht habe, die Welt von islamischen Extremisten zu befreien. Tadelnd - McCain/Palin wollen sich schließlich von Bush distanzieren - fügt sie hinzu, dass dabei Fehler gemacht worden seien. Die Bush-Doktrin, erklärt Gibson, sichtbar entnervt, bedeute, präventive Militärschläge gegen eine vermutete Bedrohung zu führen. "Wir müssen alle Optionen auf dem Tisch haben", sagt Palin, ausweichend und zugleich im Tonfall absoluter Selbstsicherheit.
Es war das erste Mal, dass jemand die Senkrechtstarterin vor einer Kamera auf Herz und Nieren prüfte. Seit McCain die Unbekannte aus Alaska als seine Stellvertreterin präsentierte, hatte sie immer nur vor verzückten Fans gesprochen, nie auf neutralem Boden. "Wir hören sie reden, während wir uns fragen, wie viele Haarspangen wohl ihre Frisur halten", hatte die Kolumnistin Deneen Brown den Palin-Effekt beschrieben. "Wir vergleichen ihre Fähigkeit, Kinder zu erziehen, mit der unseren."
Die Popularität der "Hockey-Mom" steht außer Zweifel. Erst am Mittwoch war sie in einem Park am Rande der Hauptstadt von 23.000 Schaulustigen gefeiert worden, so begeistert wie sonst nur Obama bei seinen winterlichen Überraschungssiegen. Doch nichts davon war Thema im ABC-Studio. Es ging allein darum, die weltpolitische Kompetenz einer Frau zu testen, die nach der gängigen Floskel nur einen Herzschlag entfernt vom Weißen Haus sitzen wird, falls die Amerikaner McCain zum Präsidenten wählen.
Ob sie jemals ins Ausland gereist ist? Ja, nach Kanada und Mexiko, außerdem nach Kuwait und Deutschland, um verwundete Soldaten aus Alaska zu besuchen. Ob sie jemals ein ausländisches Staatsoberhaupt traf? Nein, aber auf so ein "dickes, fettes" Resümee lege sie keinerlei Wert, das sei nicht das, was Amerika wolle. Welche Einblicke sie in die Politik Russlands bekam? "Sie sind unser direkter Nachbar, man kann Russland sogar von einer Insel in Alaska aus sehen." (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.9.2008)