Auf der Suche nach den Spuren eines archaischen Urzustandes bewegte sich Cesare Pavese (1908-1950) in seinen Romanen.

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In Cesare Paveses Spätwerk konzentrieren sich die Geschichten der Heimkehrer. In Die einsamen Frauen ist es Clelia, die als junges Mädchen vor der Enge und Armut nach Rom geflohen ist, der dort der Aufstieg in eine moderne, im Übertragenen intellektuelle Existenz durch harte Arbeit gelang und die nun nach Turin zurückkehrt. Über sie notierte Pavese den Gedanken: "Alles was ich wollte, habe ich erreicht". Clelia ist ausgezogen auf der Suche nach einer kindlichen Welt, die es nicht mehr gibt.

Maja Pflug hat das Werk, mit dem Pavese seine Trilogie der Turiner Romane abschloss, zum 100. Geburtstag des Schriftstellers neu übersetzt und erstmals ein Äquivalent für den Erzählton Paveses aus dem Jahr 1949 gefunden.

Pavese, der den Turiner Verlag Einaudi mitaufgebaut und maßgeblich geprägt hat, kam zu diesem Ton über amerikanische Literatur, die er für den italienischen Markt übersetzte. Amerika, das war in den Vierzigerjahren eine einnehmende, berauschende Gegenwelt zum faschistischen Italien. Die Literatursprache, die Pavese hier revolutionär einführte, war an Melville, Faulkner und Steinbeck geschult, orientierte sich an der gesprochenen Sprache, piemontesischen Dialekten und Soziolekten. Das Geschehen formte Pavese in ausgiebigen Dialogen, die eine reiche symbolische Last tragen.

Und Die einsamen Frauen sind das Meisterstück dieses Stils. Zu Beginn des Romans erlebt Clelia, soeben in einem Hotel abgestiegen, den Selbstmordversuch einer jungen Frau, Rosetta, mit der sie lose Freundschaft knüpft. Clelias Besuch in Turin und Rosettas unglücklicher Kampf mit dem Leben markieren den Handlungsrahmen der Erzählung.

Clelias Aufstreben, ihr Lebenswille steht Rosettas Todessehnsucht gegenüber, die beiden Frauen lassen sich als Doppelgestalt betrachten, die dem Autor als Projektionsfläche gedient haben mag. Am Ende wird Rosetta der Selbstmord in einem gemieteten Atelier gelingen. Im August 1950, eineinhalb Jahre nach Erscheinen dieses Romans, beging Pavese, am Höhepunkt literarischer Anerkennung, in einem Turiner Hotelzimmer Selbstmord. Die literarische Vorwegnahme des Suizids durch Rosetta ist tief beklemmend.

Rosetta und Clelia durchleben vor diesem Ende eine Odyssee durch eine Welt, eine Gesellschaft, die beiden fremd ist und an der beide scheitern müssen. Die Figuren, die ihnen dabei begegnen, Städter, junge Leute aus besserer Gesellschaft, lassen sich, wie davor in Der Teufel auf den Hügeln und Der schöne Sommer, treiben, halten existenzielle Fragen von sich fern, scheinen leichtmütig abgehoben, sie flanieren durch die Stadt, besuchen Partys, unternehmen Ausflüge aufs Land - in die Hügel -, immer von Sehnsucht getrieben.

Hier schließt Paveses letzter Roman an: Junger Mond (1950; im Original: La Luna e i faló - "i faló" sind die Sonnwendfeuer, die Pavese im ländlichen Italien des vorigen Jahrhunderts noch hat brennen sehen), dessen Ich-Erzähler aus Amerika zurückkommt in das Dorf, in dem er aufwuchs. Pavese, der 1908 in dem kleinen piemontesischen Dort Santo Stefano Belbo geboren wurde, beschrieb mit der Sehnsucht in seinen Werken die Suche nach einem Ursprung der individuellen Lebensgeschichte im Mythos. Der Mythos ist für Pavese "ein ekstatisches, embryonales Bild, das man im Inneren trägt".

Es lässt sich eine Linie ziehen von Paveses Herkunft aus den Hügeln der Langhe zu seiner Entdeckung der Landschaften für die Literatur und zur ständigen Suche nach den Spuren eines archaischen Urzustandes. Der Ausdruck des Archaischen in der Sexualität führt dann zurück zum modernen Menschen, der in der Intimität verletzlich ist.

Diesen modernen Menschen steht in Die einsame Frauen der Handwerker Becuccio gegenüber: eine positive Figur, die ihren Ursprüngen treu geblieben, "geerdet" ist. In Junger Mond ist es der Jugendfreund Nuto, ein Tischler, der diesen Part übernimmt, der einen gesunden Instinkt besitzt und proletarischen Stolz in seiner Existenz verankert.

1935 schrieb Pavese in seinem Tagebuch Das Handwerk des Lebens, er nehme das Material für sein Schreiben aus einem bildlich zu imaginierenden Fundus, der Substanz seiner (gelebten und intuitiven, damit archaischen) Erfahrungen. Pavese schrieb in einem elektrisierenden Spannungsverhältnis zwischen einem eindeutigen Umgang mit den Realitäten, der Geschichte und der Zeitlosigkeit des Mythos.

Clelia kehrt wie der Held in Junger Mond in jene archaische Welt zurück, aus der sie ursprünglich stammt. Beide suchen dort nach den Bildern ihrer Kindheit, können jenen "zeitlosen" Blick aber nicht mehr finden - auch wenn sich scheinbar nichts verändert hat. (Isabella Hager, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 13./14.09.2008)