D. F. Wallace, oder: Wo orte ich Verständnis?

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Claremont - Im Literaturbetrieb, der auf schnelle Erkennbarkeit zielt, sind Etikettierungen oft hohle Verdikte. David Foster Wallace war aber nicht bloß noch einer dieser US-amerikanischen Autoren, die mit fast allen wichtigen Zunftskollegen verglichen wurden. Ungeachtet aller Verweise auf Pynchon, DeLillo oder Vonnegut, mit denen er die Skepsis über die Erzählbarkeit des gegenwärtigen Lebens teilte, verfügte dieser Autor über einen völlig eigenständigen Tonfall.

Das Wissen um eine medial durchwirkte Realität, um einen konsumistischen Lebensstil veranlasste ihn zu pointierten, schonungslosen, oft gnadenlos komischen Diagnosen des gesellschaftlichen Miteinanders. In Kurze Interviews mit fiesen Männern spürt er in wechselnden Formen und Stilen Fehlleistungen, Neurosen und sexuellen Abweichungen eines ganzen Bündels an Figuren nach.

Das Resultat ist ein Buch, das sich als Panoptikum kühner Miniaturen des Unglücks lesen lässt. Hinter der bissigen Scharfsichtigkeit lauert die Melancholie. Foster Wallace war ein Meta-Realist, seine Sprache ordnete Realitätspartikel neu und suchte nach Bildern, die nach einer übergeordneten Wahrheit streben. "Literatur ist der Versuch, der Verlorenheit in der wirklichen Welt beizukommen", sagte er einmal. Schrecklich amüsant, aber ohne Zukunft ohne mich lautet der Titel seiner irrwitzigen Beschreibung einer Kreuzfahrt, die wie viele seiner Texte eine Art postindustrielle Existenzverdrängung verhandelt.

Sein anspruchsvollster Roman, Infinite Jest, wurde bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt: mit 1079 Seiten eine Herausforderung für jeden Übersetzer, nicht zuletzt aufgrund zahlloser Fußnoten. Angesetzt in einer nahen dystopischen Zukunft der USA, versteht sich das Buch als enzyklopädische Satire auf die US- Lebensweise, die unter anderem in eine Tennisakademie und in eine Entzugsklinik führt. Die fatalen Abhängigkeiten und Süchte des Menschen beschreibt Wallace mit großer Freude am Detail, spiegelt sich darin doch die Unfähigkeit, mit anderen in Austausch zu treten.

Time nannte Infinite Jest eines der 100 besten Bücher des letzten Jahrhunderts. Wallace, 1962 in Ithaka, New York, geboren, trat schon als Kind in Werbesendungen auf. Vielleicht hat den Sohn eines Literaturprofessors dies die ersten Eindrücke falscher medialer Versprechungen geliefert. Nach dem Studium spielte er Tennis, ehe er sich der Literatur zuwandte. Am Freitag ist Wallace freiwillig aus dem Leben geschieden. (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 9. 2008)