Die Leitern laden symbolisch zum Perspektivenwechsel ein. An der Wand sind die ermordeten steirischen Widerstandskämpfer dokumentiert, von vielen gibt es keine Fotos.

Foto: Erika Thümmel

Graz - Vor dem eleganten Portal der Firma Rendi am Grazer Joanneumring 5, wo einst der jüdische Unternehmer Simon Rendi einen florierenden "Tuchhandel" betrieb, steht ein grinsender junger Mann in NS-Uniform. Eine Passantin spricht mit ihm, ein Mann schiebt sein Rad vorbei. Es ist Frühling 1938 und in Graz beginnt man damit, Kunden von jüdischen Unternehmen anzupöbeln.

Die Fotografie hängt in der Ausstellung "Unsichtbar", die heute, Freitag, im Grazer Stadtmuseum eröffnet wird und einen genaueren Blick auf die Geschichte des Bundeslandes mit der "Stadt der Volkserhebung" lenkt. Die Historiker Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht und Ursula Mindler haben nicht nur massenhaft Material, wie Fotos, Dokumente und hunderte Briefe aus der NS-Zeit selbst gesichert, sondern zeigen in einer klar strukturierten Schau auch jene Strömungen, die gerade in der Steiermark den Boden ideologisch aufbereiteten: Nazis mit familiären Wurzeln in der so genannten Untersteiermark und deutschnationale Verbindungen an den steirischen Unis. Auch die Gedenkkultur nach 1945 wird nüchtern analysiert. Dabei zieht sich ein vielschichtiger Blick durch die gesamte Schau: Das Mobben von Kunden jüdischer Firmen etwa fand am helllichten Tag statt, ebenso sichtbar für jedermann waren hetzerische Artikel gegen Juden. "Das ist jene Ebene, von der niemand sagen kann, er habe nichts davon gewusst", erklärt Gerhard Lamprecht. Sieht man zwischen den von der Decke hängenden Text- und Bildbahnen hindurch, blickt man auf die nächste Ebene der Verfolgung: Zum Beispiel auf Berichte über das Berufsverbot für jüdische Ärzte. Eine Reihe weiter hinten hängen die Namen der Opfer in langen, traurigen Listen. Ausstellungsgestalterin Erika Thümmel spielt mit Wahrnehmungsebenen: Wer genau hinsah, hätte hinter den ersten sichtbaren Aktionen den Verlauf der Schoah erahnen können. Und: Es gab Handlungsspielräume für Widerstand.

Ungehörte Gegenstimmen

Doch viele Menschen, die sie nutzten, verloren im Kampf gegen das Regime ihr Leben. Jene Räume im Museum, die sich ihnen widmen, mussten mit ihrer "Unsichtbarkeit" arbeiten. Widerstandskämpfer wirkten im Verborgenen, um ihr Leben zu schützen, es gibt keine Fotos von Treffen der Koralmpartisanen oder dem Verfassen von Flugzetteln der Kommunistischen Jugend. Das Künstlerkollektiv G.R.A.M. stellte die Szenen für die Ausstellung nach. Hinter einer durchsichtigen Leinwand, auf die NS-Propagandafilme projiziert werden, kann man diese geheimen Zusammenkünfte erkennen. Nebenan sind die Namen ermordeter Widerstandskämpfer dokumentiert - meist ohne Porträt.

Anders bei jenen Opfern und Tätern, die während oder nach dem Krieg als Politiker Karriere machten: Ihre Portraits hängen als Teil der Ausstellung weithin sichtbar auf Fahnen in den Arkaden des Grazer Landhauses - vor den Büros heutiger Regierender. Dabei wurde erst vor einigen Jahren publik, dass der Gauleiter der Steiermark, Sigfried Uiberreither, bis 1984 unter falschem Namen ein beschauliches Leben in Deutschland führte. (Colette M. Schmidt/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 9. 2008)