Banken fürchten Schuldenkarussel: Der aus den USA kommende Grauschleier hat sich über die österreichische Bankenlandschaft gelegt. Die Folgen der direkten Geschäfte mit Lehman Brothers seien aber bewältigbar, heißt es in Wien.

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New York/Wien - Der Absturz an den Börsen hat der Wiener Börse besonders stark zugesetzt. Die in Österreich gelisteten Unternehmen verloren seit Oktober 2007 insgesamt rund 60 Milliarden Euro an Marktwert, hat Günther Artner von der Erste Bank errechnet. Davon ist die private Vorsorge stark betroffen. Mit Abstrichen bei den Erträgen sei zu rechnen, sagt Thomas Url vom Wirtschaftsforschungsinstitut.

Die heimische Finanzwirtschaft dürfte von der Lehman-Pleite und der drohenden Insolvenz des Versicherungsriesen American International Group (AIG) stärker betroffen sein als vermutet - allein Raiffeisen drohen 280 Millionen Euro Ausfall, meinen Insider.

An den Märkten brach am Dienstag Panik aus, der ATX verlor zeitweise mehr als sechs Prozent. Die Erholung in New York verringerte die Kurseinbußen in Europa, Wien schloss schließlich 3,82 Prozent tiefer. Trotz Rufen nach Senkung des Leitzinses ließ die US-Notenbank Fed diesen unverändert bei zwei Prozent. Trotz Irritation konnte der US-Leitindex Dow Jones den Aufwärtstrend fortsetzen und lag kurz vor Handelschluss ein Prozent höher.

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Die Wiener Börse, die besonders stark unter den Auswirkungen der Finanzkrise leidet, verzeichnete am Dienstag ein Dreijahrestief. Seit Oktober 2007 ist der Wert aller börsennotierten Unternehmen am heimischen Aktienmarkt von 188 Mrd. auf unter 130 Mrd. Euro eingebrochen, errechnete Erste-Analyst Günther Artner, ein Minus von rund einem Drittel.

Die von den US-Finanzmärkten ausgehenden Schockwellen haben bei den österreichischen Banken und Versicherern hektische Betriebsamkeit ausgelöst. Die Pleite von Lehman Brothers tangiert so gut wie alle österreichischen Geschäftsbanken, "wer internationale Kontakte hat, kommt an Lehman nicht vorbei" , heißt es.
Noch am Montag haben die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) und die Finanzmarktaufsicht FMA infolgedessen Erhebungen eingeholt, die einen Überblick geben sollen, wie sehr die Branche von der Lehman-Pleite direkt (also etwa durch Anleihen, strukturierte Produkte oder von Lehman ausgestellte Garantien) betroffen ist.

Konkrete Zahlen wurden nicht bekanntgegeben, OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny beruhigte aber: "Die österreichischen und europäischen Banken sind sicher" , bei der Krise handle es sich um "die eines ganz speziellen Bankenmodells" und nicht um die von Kommerzbanken. "Aus der Sicht der Sparer ergibt sich kein spezielles Problem" , meinte er. Bei den Garantieprodukten von Versicherern könne er sich "Kulanzangebote der Versicherungen vorstellen" . Alles in allem seien die "Engagements der österreichischen Banken minimal und nicht besorgniserregend" , sagte ein OeNB-Direktoriumsmitglied zum Standard.

Im Laufe des Tages kristallisierten sich bei den einzelnen Banken dann konkretere Zahlen heraus. Raiffeisen soll dem Vernehmen nach am stärksten betroffen sein. Dort soll die Summe aller Engagements (inklusive Banklinien, Haftungen, Fonds) bei rund 280 Mio. Euro liegen. Diese Summe wurde aber nicht offiziell bestätigt.
Der Aufsichtsratschef der Raiffeisen Zentralbank, Christian Konrad, zum Standard: "Wir haben gewisse Wertberichtigungserfordernisse, die aber nicht besorgniserregend sind. Möglicherweise wirken sich die wachstumshemmend aus, sodass wir unsere Ziele nicht ganz erreichen werden." All das hänge aber von den weiteren Entwicklungen ab. Aus dem Sektor ist zu hören, dass maximal vorgesorgt werden wird, selbst 150 Mio. Euro seien "problemlos darzustellen".

Die Bank Austria hat ihr Lehman-Engagement mit einem "niedrigen zweistelligen Millionenbetrag" beziffert (angeblich deutlich unter 50 Mio.). Eine Hälfte entfällt auf Derivativprodukte, die andere auf Anleihen.

"Trümmer aufräumen"

Bei der Volksbanken AG (ÖVAG) geht man von einem Wertberichtigungsbedarf von "null bis 50 Mio. Euro aus" , bei der Erste Bank spricht man von 40 Mio. Euro, die sich aus einem syndizierten Kredit und einer Anleihe von Lehman zusammensetzen. Die Bawag hat gar keine Refinanzierungsgeschäfte mit Lehman in den Büchern, nur einen geringen zweistelligen Millionenbetrag aus Swaps.

Ein Notenbanker fasst das alles so zusammen: "Für Österreich ist das eine beherrschbare Sache, das Hauptproblem liegt in den USA. Wir in Europa müssen herumfliegende Trümmer aufräumen und letztlich wertberichtigen. Aber ganz sicher ist die Zeit der großen Wachsamkeit angebrochen."

Wie sehr die Versicherer bluten werden, ist auch noch nicht klar. Sie könnten von den Auswirkungen der Turbulenzen des US-Versicherungsriesen AIG getroffen werden, aber man wisse noch nicht, "ob und wie stark heimische Versicherungen mit AIG zusammengearbeitet haben" , sagt Günter Geyer, Chef der Wiener Städtischen Versicherung und Spartensprecher. Die Städtische selbst habe AIG als Rückversicherer und Garantiegeber "im kleinen Bereich" . An Ausfälle glaubt er nicht: "Ein Rückversicherer kommt ja nur zum Einsatz, wenn eine große Katastrophe passiert." Viel eher sorgt sich Geyer um die Stimmung. Würde der zweitgrößte Versicherer der Welt tatsächlich krachen, könnte in der Versicherungsbranche ein ähnlicher Vertrauensverlust eintreten wie bei den Banken.

Auswirkungen der Turbulenzen dürften die Österreicher jedenfalls bei kapitalgedeckter Altersvorsorge spüren. Die fallenden Aktienkurse wirken sich auf die Performance der Vorsorgekassen aus. "Eine schwarze Null wird heuer nicht leicht" , sagt Christian Böhm, Spartenobmann der Pensionskassen der Wirtschaftskammer. Die Pensionskassen würden heuer aber viel konservativer veranlagen als zuvor, man investiert stärker in Staatsanleihen und am Geldmarkt als in Aktien. (as, bpf, gra/DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2008)