In eine kräftig wuchernde Erzähloberfläche gießt der Wiener Autor Xaver Bayer behutsam die Suche seiner Figuren nach dem Ungewissen, nach Limits und Herausforderung.

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Wien - Mit seinem ersten Roman Heute könnte ein glücklicher Tag sein (2001), der in seiner Monotonie eine fesselnde Erzählkraft entwickelt, gelang Xaver Bayer ein Treffer ins Schwarze, ins tiefste Innere einer Generation, als deren Stellvertreter er fortan von einer jubelnden Kritik vehement typisiert wurde. Und das, obwohl Bayer eigentlich genau keinen Vertreter, sondern eine Ausnahme darstellt, einen Einzelgänger inmitten jener Twenty- und Thirtysomethings, die sich in einem unspektakulär geglätteten Leben bewegen, in dem sie nichts riskieren müssen, weil sie am Ende niemals verlieren können. Es ist dies bereits die Generation nach "No Future": Die Zukunft ist ihr nur zu gewiss, zu glatt, zu einfach. "Das sind alles nur Scheinrisiken", sagt Bayer, der 1977 in Wien geboren wurde, hier ein Philosophie- und Germanistikstudium abschloss. "In einem abgesteckten Bereich macht man seine Experimente - aber nur wenige machen einen Schritt aus dieser geschlossenen Anstalt ihres Daseins heraus."

Bayers Figuren versuchen es. Sie sind junge, gebildete Stadtbewohner, die immer eine Spur zu klug sind für die Antworten, die ihnen abverlangt werden, immer ein wenig überqualifiziert. Sie verbringen, meist rauchend, oft mit einem aufgeschlagenen Buch auf dem Schoß, einem bedeutungsvollen Zitat im Kopf, unendlich viel Zeit damit, sich zu langweilen und zu überlegen, was wäre, wenn etwas wäre.

Wie eckt man an, wenn man eigentlich nichts falsch machen kann? In Bayers zweitem, irritierendem Roman Die Alaskastraße (2003) bricht die Hauptfigur aus dem geordneten Easy Living anfallsartig aus. Erst in Weiter (2006), dem radikalsten, zugleich sprachlich stärksten der Romane, scheint der Charakter, der wie seine Vorgänger eine bedrängende Leere mit manischem Beobachten nicht füllen kann, an seine Grenzen zu stoßen. Die Figur, ein Computerspielkritiker, meint, ihre letzte Chance verspielt zu haben und endlich nach vorne, ins Ungewisse flüchten zu können.

Seine Protagonisten sind Beobachter, Einzelgänger, die Kontakt und Abstand genau dosieren, wie auch Bayer sich als Autor gerne zurücknimmt, wenig zeigt. Sein Erzählband "Die durchsichtigen Hände" - wie alle Romane bei Jung und Jung erschienen - versammelt Geschichten Verlorener; sie durchleben eine Gedankenodyssee "zwischen Anpassung und Verweigerung" (so die Jury, die Bayer heuer den Hermann-Lenz-Preis zuerkannte). Ihre Sinnsuche gießt Bayer in vertrauter Manier in unerschöpflich sich ausbreitende Erzähloberflächen. Henry Kissinger und ich teilen ein Taxi heißt dann so eine Geschichte; oder Die Abschiedsworte des Bauchredners; oder Wie man seine Box zum Verschwinden bringt. Man begegnet hier einem Amokläufer, der einem Mädchen am Schießstand im Prater eine Plastikrose schießt. Einem erfolgreichen Geschäftsmann, der, plötzlich paralysiert, zum Gefangenen seines so glatt und reibungslos laufenden Lebens wird.

Bei Bayer, dessen Arbeiten handschriftlich auf Papier entstehen und dem man zu Unrecht Düsternis und Plot-Armut vorgeworfen hat, steckt immer etwas dahinter. Unter vielen Bluffern sind seine Helden jene, die wirklich etwas können. Für den Autor Bayer ist ein Bluff nur ein Kunstgriff, der nie die ganze Arbeit bestimmen könne. Es gebe eine Art FI-Schalter in seinem Kopf, "der springt raus, sobald ich manieriert werde oder schwindle - dann kann ich nicht weiterschreiben. Ein guter Schutz." Das, was er "Wohlfühlkunst" nennt, werden wir von Xaver Bayer also auch in Zukunft nicht zu sehen bekommen. (Isabella Hager/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 9. 2008)