Foto: Randomhouse Verlag

"McMafia - Die grenzenlose Welt des Organisierten Verbrechens" von Misha Glenny ist auf Deutsch bereits im DVA-Sachbuchverlag erschienen.

Foto: Randomhouse Verlag

Er traf japanische Yakuza-Gangster, ex-jugoslawische Unterweltgrößen und kolumbianische FARC-Rebellen. Bis zu 20 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung spielt sich, so der britische Journalist und Autor Misha Glenny, im dunklen Schattenreich der Organisierten Kriminalität ab. Dementsprechend modern und globalisiert seien auch die Strukturen, die sich Verbrecher für ihre Geschäfte zunutze machen. McMafia heißt Glennys neues Buch, in dem der 50-Jährige detailliert die Vernetzung international operierender Banden aufzeigt und beweist, dass Mafia keineswegs ein italienisches Phänomen mehr ist. Im derStandard.at-Interview erklärt der gut gelaunte Weltenbummler in Sachen Mafia, warum es der Kapitalismus ohne Organisierte Kriminalität in Osteuropa schwer gehabt hätte.

derStandard.at: Können Sie über die TV-Mafiaserie Sopranos lachen?

Misha Glenny: Ich finde die Sopranos nicht nur lustig, sondern brilliant. Tony Soprano ist eine fantastische Figur, weil sie imstande ist zu verstehen, wohin sich die Welt der Organisierten Kriminalität bewegt. Es gibt einen Schlüsselmoment in der Serie, in der das deutlich wird. Nämlich, als Tony nach einem Autounfall beschließt, seinen Neffen Christopher Moltisanti zu töten, der im Namen der Familienehre zu viele Probleme verursacht hat, zu sehr auf Gewalt gesetzt hat. Obwohl Gewalt weiter das Herzstück der Organisierten Kriminalität bleibt, wird sie in der neuen Welt nur mehr dort angewandt, wo sie aus ihrer Sicht absolut notwendig ist. Viel wichtiger ist es, eine glaubhafte Drohkulisse aufzubauen.

derStandard.at: In Deutschland gibt es ein Büro namens "Moskau Inkasso", das sich seiner "russischen Methoden" rühmt. Sie schreiben, dass tschetschenische Mafiaorganisationen in Russland ihren Namen an andere Banden verleihen, damit diese mehr Durchsetzungsvermögen suggerieren.

Misha Glenny: Das ist genau der Punkt! Die wichtigste tschetschenische Mafiaorganisation in den Neunzigerjahren saß nicht in Grosny, sondern in Moskau und hatte dort einen beträchtlichen Anteil an den Geschäften der Sicherheitsdienste. Da spielte auch eine Art von romantisch-nationalistischer Angst der Slawen vor den angeblich wilden Tschetschenen eine Rolle. Das hat dazu geführt, dass die tschetschenische Mafia in Moskau ihre Identität in einer Art Franchise-System an verschiedene Gruppen überall in Russland verkauft hat. Eine win-win-Situation solange, bis ein "Franchisenehmer" die Standards der effektiven Gewaltanwendung verletzt. Dann bekommt er Probleme.

derStandard.at: Sie waren lange Jahre BBC-Korrespondent auf dem Balkan und haben den Beginn des Krieges Anfang der 1990er bearbeitet. Warum gelingt es der Organisierten Kriminalität, Nationalismus hintanzustellen?

Misha Glenny: Ich glaube nicht, dass die Balkankriege wegen ethnischen Nationalismus begonnen wurden. Bei diesem Krieg ging es um einige wenige Gruppen einflussreicher Leute im früheren Jugoslawien, inklusive der Verbrechersyndikate und der neu entstandenen politischen Klassen in Serbien, Kroatien, Slowenien und so weiter. Diese Gruppen haben in Absprache miteinander riesige und sehr profitable Unternehmen etabliert und den Nationalismus als Tarnung gebraucht. Eine der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe, waren die engen Geschäftsbeziehungen von Banden in Belgrad, Zagreb, Skopje und Pristina, die mir auffielen, als ich 2003 zum Mord an (Serbiens damaligen Premierminister, Anm.) Zoran Djindic arbeitete. Viele Leute, die in diese Geschäfte involviert waren, waren gleichzeitig in ultranationalistischen Paramilitärs aktiv. Ein Beispiel: Während Arkan 1999 die ethnischen Säuberungen gegen Albaner im Kosovo entfachte, traf er sich regelmäßig mit seinem Heroindealer aus Pristina, einem Albaner.

derStandard.at: Sie schreiben, die kriminellen Organisationen hätten die Transformation von Kommunismus zu Kapitalismus in vielen Ländern des früheren Ostblocks erst möglich gemacht. Was meinen Sie damit?

Misha Glenny: Es war nicht nur die kommunistische Ideologie, die 1989 zusammengebrochen ist, sondern großflächige staatliche Strukturen. Das bedeutete, dass es keine funktionierende Polizei und keine funktionierende Justiz mehr gab, die etwa die Einhaltung von Verträgen im jungen Kapitalismus erzwingen konnten. An deren Stelle rückten Mafiaorganisationen, die bei Streitigkeiten im Namen von Geschäftsleuten Lösungen suchten, in neun von zehn Fällen in Form von Gesprächen, manchmal vereinbarte die Mafia aber auch eine "Rasborka", eine Schießerei. Wer dort siegte, gewann auch den Streit um einen Vertrag. Es handelte sich also um eine ziemlich anarchische Privatisierung des Rechtssystems, die dazu geführt hat, dass sich der kapitalistische Weg in der Ex-Sowjetunion und in Osteuropa durchsetzen konnte.

derStandard.at: Bulgarien kommt in McMafia immer wieder vor, wenn es um aufgelöste staatliche Strukturen geht, aus denen kriminelle Organisationen entstehen. Wie sieht es etwa im Irak und in Afghanistan aus?

Misha Glenny: Der Irak ist in vielen Aspekten ein perfektes Labor für die Ausbreitung der Organisierten Kriminalität. Viele Meinungsumfragen seit der US-Invasion zeigen, dass für die Bevölkerung Korruption und Kriminalität genauso besorgniserregend sind wie der Terrorismus. Ich habe für mich beschlossen, dass es im Irak einfach zu gefährlich ist, um dort für mein Buch zu recherchieren. In Afghanistan haben sich die Taliban fast ausschließlich aus Mitteln des Heroinhandels neu bewaffnet. Der Krieg gegen die Drogen hat zu einer Preisinflation für Opium und Heroin geführt, die Taliban unterminieren mit diesem Geld den Krieg gegen den Terror, den die NATO führt. Beide Kriege kann der Westen nicht gewinnen, ich würde sogar sagen, dass der Krieg gegen Drogen schon verloren ist.

derStandard.at: A propos Gefahr. Sie haben während ihrer Recherchereisen unter anderem Südafrika, Russland und Kolumbien besucht. Gab es eine Situation, in der Sie wirklich Angst hatten?

Misha Glenny: Wirklich Angst hatte ich in Kolumbien, als ich die FARC-Rebellen in der Nähe von Cali besuchte. Einen Tag vor meiner Ankunft hatte genau diese Gruppe bei einem Bombenanschlag sechs Polizisten getötet, ich war sehr nervös und hatte reale Angst, von diesen Leuten entführt zu werden. Ich hatte zwar während meiner Arbeit in Jugoslawien schon öfter mit gefährlichen Situationen zu tun gehabt, aber der Unterschied bei McMafia war, dass ich alleine unterwegs war und es in diesen Ländern wahrscheinlich niemanden gekümmert hätte, wenn man mich erschießt. (Florian Niederndorfer/ derStandard.at, 19.9.2008)