Sie würden es alle wieder tun, keine Frage: Die Ehrenobfrau des steirischen KZ-Verbandes, Maria Cäsar (links), mit anderen Widerstandskämpfern und deren Partnern vor Schloss Sommerau am Semmering.

Foto: Elmar Gubisch

Das Durchschnittsalter der zwölf Urlauber, die gemeinsam eine Woche auf Schloss Sommerau am Semmering verbringen, ist 86. Die Gruppe, die sich unter dem Bürokratentitel "Seniorenurlaubsaktion des Landes Steiermark für Opferausweis- und Amtsbescheinigungsinhaber und deren Witwen" erholt, hat in der NS-Zeit durch Mut Geschichte geschrieben – und ist heute weitgehend unbekannt.

Im Foyer des Familiengästehauses stellt Maria Cäsar, Jahrgang 1920, Widerstandskämpferin, Ehrenobfrau im KZ-Verband und seit Jahrzehnten als Zeitzeugin in Schulen unterwegs, ihre Freunde vor: "Das ist der Karl aus Leoben, der hat bei den Partisanen kämpft, die beiden da sind Witwen von Spanienkämpfern, und dahinten kommt die Frau Oswald, das ist eine Ravensbrückerin." Aber Letztere rege sich immer so sehr auf, wenn sie vom KZ erzählt.

Vorwurf Hochverrat

Im Mai 1939 meldete die Gestapo aus Graz nach Berlin: "Es wurden 43 Personen wegen Vorbereitung zum Hochverrat festgenommen und dem Landesgericht Graz zugeführt." Die Gruppe waren Jugendliche aus Knittelfeld, Judenburg, Fohnsdorf und Zeltweg. Arbeiter und Arbeiterinnen, die meisten von ihnen Kommunisten und Jungsozialisten, die "der Auffassung waren, dass sich das österreichische Volk gegen den Hitlerfaschismus wehren muss", erklärt Cäsar. Und: "Man hat damals auch schon gewusst, was den Juden in Deutschland angetan wurde."

Organisierten Widerstand gab es auch in der Gegend um Leoben, Kapfenberg und Bruck an der Mur. Menschen, die teilweise schon im Februar 1934 an der Seite des hingerichteten SPÖ-Abgeordneten und Schutzbundführers Koloman Wallisch kämpften. Neben Graz war der Widerstand in der von der Industrie geprägten Obersteiermark besonders stark. Aus jener Gruppe, die schon 1939 hochging, kamen einige wieder frei, wurden aber später wieder erwischt. Insgesamt wurden über 500 steirische Widerstandskämpfer umgebracht.

"Die lebt nimmer"

"Wo ist denn heuer die Frau A.?", fragt eine Dame, bevor man gemeinsam zum Essen geht. Maria Cäsar legt ihren Arm auf den der Fragenden und sagt sanft, aber bestimmt: "Die lebt nimmer." Dann wird sie wieder resolut: "So, wir gehen jetzt essen und dann treffen wir uns im Raum, wo wir sonst Karten spielen, zum Erzählen."

Manche erzählen schon im Speisesaal. "Vorm Gemüse hab ich immer Federn g'habt", feixt der 89-jährige Karl und schiebt den gebackenen Karfiol an den Tellerrand. Der gelernte Bäcker aus sozialdemokratischem Elternhaus war bei den Kinderfreunden und den Roten Falken, bevor er als 15-Jähriger – enttäuscht durch die Niederlage im Februar 1934 – zum Kommunistischen Jugendverband (KJV) übertrat. Der KJV wuchs in dieser Zeit durch Massenübertritte von enttäuschten Jungsozialisten zur großen Organisation heran. Karl trat einer Gruppe in Leoben-Leitendorf bei, arbeitete ab 1938 im Hüttenwerk Donawitz und nahm an Aktionen gegen die Faschisten teil.

1939 wird Karl mit anderen Mitstreitern verhaftet. Er wird wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu über zwei Jahren Haft verurteilt. Als er 1941 seine Arbeit wieder haben will, weist man ihn ab, weil "für Hochverräter kein Platz" sei. Also fängt Karl in der Leobner Arbeiterbäckerei an.

Karls Geschichte

"Überall bleibt der Marillenkuchen stehen, die Leute sind alle so übersättigt, seit der Krieg aus ist", unterbricht Karl seine Erinnerungen. Er sammelt übriggebliebene Nachspeisen ein. "Ich nehm' die mit ins Zimmer, ich rauch nämlich gern gleich nach dem Aufstehen, und das tut auf nüchternen Magen net gut", erklärt er neben seiner verständnisvoll dreinblickenden Frau. Doch schon ist er zurück in jener Zeit, als Rauchen sein geringstes Problem war: 1943 wird er zum "Bewährungsbataillon 999" einberufen, in dem die Nazis Kriminelle und politisch Verurteilte drangsalierten.

Karl muss an die Ostfront, wo er und seine Verbündeten aber plötzlich abgezogen werden. Dann werden sie nach Griechenland verfrachtet, wo sie gegen die ELAS-Partisanen kämpfen sollen. Obwohl Karl F. weiß, dass er und die anderen "999er" unter Beobachtung stehen, ist ihm klar, dass er überlaufen wird. "Ich bin bald meiner Wege gegangen", spielt er seine gefährliche Flucht über die Berge zu den Verstecken der Partisanen herunter. Monatelang versuchte er, mit einem Megaphon "bewaffnet", andere deutsche Soldaten zum Überlaufen zu bewegen – die antworteten mit Granaten. 1944 wechselte Karl noch einmal die Uniform: "Ich wurde von Titos Armee vereidigt und zog 1945 mit den Befreiern nach Wien."

"Sekundentod"

Nach dem Zweiten Weltkrieg trug das offizielle Österreich den Befreiungskampf seiner Widerstandsgruppen vor sich her – bis der Staatsvertrag unterzeichnet war. Später vergaß man auf sie und begann das Land mit Kriegerdenkmälern zuzupflastern.

"Was soll ich erzählen?", fragt Aloisia P., deren Mann in Spanien gegen Franco kämpfte und vier Jahre im KZ Dachau interniert war. "Nach dem Krieg war er deprimiert." Bei seiner Arbeit im Konsum wollte man ihn nicht mehr haben, Jugendfreunde ließen ihn fallen. Er starb in den 70ern einen "Sekundentod in meinen Armen. Ein Herzinfarkt."

Ähnlich ist die Geschichte von Sepp Hubmann. Seine Witwe Margarethe weiß, dass er mit Aloisias Mann in Spanien und später in Dachau war. Nach seinem Bruder, Erich Hubmann, ist dort eine Straße benannt. Erich wurde gemeinsam mit fünf anderen Männern beim Dachauer Aufstand der Häftlinge kurz vor der Befreiung durch die Amerikaner von SS-Leuten erschossen. Für seinen Bruder, Margarethes Mann, den sie 1945 heiratete, ging der Albtraum des Überlebenden nach dem Krieg weiter: "Er hat jede Nacht die Matratze durchgeschwitzt", sagt Margarethe ruhig. "Und er hat sich immer so gekränkt, weil er wollte erzählen, aber die Bekannten wollten nix wissen." Sepp starb mit 46 an einem Herzinfarkt. "Wir waren auf einer Landstraße, da ist er am Lenkrad zusammengesackt."

Flugzettel in der Lenkstange

Auch Ida Schulin erzählt von ihrem Mann, dem Fritz, der "von allen der Gescheiteste war beim KJV in Graz". Maria Cäsar unterbricht sie: "Aber erzähl' doch, was du gemacht hast!" Ida war 17 und machte die Lehre zur Friseurin, als sie in der Lenkstange ihres Fahrrades Flugzettel gegen den Austrofaschismus versteckte. Schon 1936 wird sie deshalb verhaftet. Doch es ist die zweite Verhaftung, über die die gepflegte Frau mit roten Haaren und roten Fingernägeln, die im Sommer ihren 90er feierte, reden will. Denn 1939 muss Ida ihren 13 Monate alten Sohn bei ihren Eltern zurücklassen. Ihr Mann war bereits in Haft. Als sie abgeholt wird, frisiert sie gerade eine Jüdin.

Von Graz auf den Morzinplatz

"Ich hab mir gedacht: ,Gut, dass die das nicht wissen, sonst würden s' meine Kundschaft auch gleich mitnehmen.'" Zuerst wird Ida zur Gestapo am Paulustor gebracht, später nach Wien in die Gestapoleitstelle am Morzinplatz überstellt, wo sie auf die Verhandlung wegen Hochverrats wartet.

Der Anwalt, der ihr zur Seite gestellt wird und erreicht, dass sie nicht hingerichtet, sondern zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt wird, entpuppt sich später als heimlicher Verbündeter. Als sie ihn nach der Enthaftung in seiner Kanzlei in der Wiener Herrengasse besucht, bestärkt er sie in ihrem Kampf gegen die Nazis: "Er hat gesagt, ich soll so bleiben, wie ich bin. Dann hat er mir noch Geld fürs Kind gegeben, das war mehr als menschlich."

Ida kramt eine Schwarz-Weiß-Fotografie von einem Jugendlichen auf Skiern mit nur einem Bein aus ihrer Tasche. Als sie aus Wien zurückkam, war er drei: "Er hat schon geschlafen und mich gar nicht erkannt." Doch mit ihm erlebte die Witwe nach dem Krieg, als sie sich als Friseurin selbstständig gemacht hatte, einen weiteren Schicksalsschlag.

"Es war am 3. August 1946, wir haben einen Ausflug gemacht mit dem KJV nach Kärnten." Doch der Bus verunglückte. Elf Menschen starben, viele wurden schwer verletzt. Auch Ida und ihr Sohn. Im Krankenhaus in Wolfsberg soll sich der zuständige Medizinalrat geweigert haben, Kommunisten zu behandeln. Ida ist tagelang bewusstlos und erfährt dann, dass ihr Sohn ein Bein verloren hat.

Die "Ravensbrückerin"

Ida erzählt lange. Nicht alle mögen sich so genau in die Vergangenheit zurückversetzen. Doch zuletzt spricht auch die "Ravensbrückerin": Josefine Oswald war 16, als sie, ihre Schwester und ihre Mutter 1944 im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück ankamen, weil sie auf ihrem abgelegenen Bergbauernhof bei Tragöß Partisanen versteckt hatten – "wegen der Güte", sagt sie. Ihren Bruder haben die Nazis gleich in den Bergen neben einem Versteck mit einem Genickschuss getötet: "Der Neuschnee hat seine Spur verraten."

Josefines Vater wurde in Mauthausen eingesperrt. Die Familie wurde zwar im Mai 1945 befreit, doch der Vater war so geschwächt, dass man ihn nicht mehr auf seinen Hof bringen konnte. Er starb nach sechs Wochen im Tal. "Man hat damals nur mit Ochsen hinauf können", bemerkt Josefine traurig, "heute geht eine breite asphaltierte Straße hinauf, aber unser Haus ist nicht mehr da." (Colette M. Schmidt/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21. 9. 2008)