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Hermann Gerharter: "Ein Benya hätte den Konsum nicht untergehen lassen."

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Warum er sich immer noch für unschuldig hält und nicht "zum System" gehörte, erzählte er Renate Graber.

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STANDARD: Am Montag erscheint Ihr Buch über das "Verschwinden des Konsum Österreich" , den Sie bis zur Pleite 1995 geführt haben. Ein Akt der Psychohygiene?

Gerharter: Nein, ich habe schon immer gern geschrieben; und jetzt war die Zeit reif für dieses Buch.

STANDARD: Sie wurden 1999 wegen fahrlässiger Krida, 2001 wegen betrügerischer verurteilt. Sie schreiben von "Sühne ohne Schuld" und einem "kafkaesken Prozess" . Realitätsverweigerung?

Gerharter: Nein, aber man gerät bei so einem Verfahren ins Dunkle unserer Gesellschaft, wo man nicht mehr weiß, was mit einem geschieht. Und der Tatbestand der fahrlässigen Krida, wegen der ich beim Konsum verurteilt wurde, ist vier Monate danach aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden. Da soll ich nicht das Gefühl haben, dass ich zu unrecht verurteilt wurde?

STANDARD: Klingt nach Verschwörungstheorie. Sie sprechen von "Verfilzung" , die rund um Konsum, Gewerkschaft und Bawag geherrscht habe, beschreiben, wie autokratisch Bawag-Chef Walter Flöttl geherrscht, Aufsichtsratssitzungen geführt hat. Sie waren aber von 1986 bis 1995 selbst im Bawag-Aufsichtsrat, warum haben Sie so lange mitgetan? Waren Sie nicht selbst Teil des Filzes?

Gerharter: Es ist keine Verschwörungstheorie. Und ich war nicht Teil des Filzes, nicht Teil dieser Clique, und das hat mir nicht gerade genützt. Ebenso wenig das Faktum, dass ich 1986 Franz Vranitzkys Angebot abgelehnt habe, Landwirtschaftsminister zu werden. Ich war nicht konformistisch - somit war ich suspekt. Und zur Bawag: Der Aufsichtsrat war nicht informiert, er war blind. Der Konsum hielt 30 Prozent an der Bank, ich habe vom ersten Tag an gegen die Sitzungsführung opponiert, habe es dann aber aufgegeben. Ich war ja auch der einzige, der die Anhebung der Dividende gefordert hat. Damit habe ich mir den Unwillen Flöttls zugezogen. Der Aufsichtsrat war froh, dass jemand die Bank so kräftig führt. So lange ein autoritärer Mensch Erfolg hat, wird seine Autorität anerkannt; erst danach wird Autorität zum Vorwurf. Bei mir war das auch so.

STANDARD: ÖGB-Präsident Anton Benya, damals Konsum-Aufsichtsratschef, hat nicht mal Ihr Strategiekonzept gelesen, weil Fremdworte vorkamen. Trotzdem wurden Sie 1991 Konsum-Chef.

Gerharter: Ja. Ich war konsequenter, strenger als mein Vorgänger, wollte, dass geschieht, was ich anordne. Ich war nicht unbeliebt, aber ich habe polarisiert.

STANDARD: Apropos streng. Anton Rauter hat ein Buch über die Konsumgenossenschaft geschrieben, das hat der Konsum aufgekauft und einstampfen lassen. Und wofür gab es einen eigenen Buchhalter für die Gehaltsverrechnung des Vorstands?

Gerharter: Das mit dem Buch war unter meinem Vorgänger. Und der eigene Buchhalter gehörte zum System Österreich alt: Möglichst viel im Dunkel halten.

STANDARD: Auch Sie haben nie publik gemacht, dass der Konsum bis auf 1983 nur Verluste schrieb. Erst im Prozess sagten Sie, dass der Verlust allein 1994, als schon Migros im Boot war, um 900 Milllionen Schilling explodiert ist. Warum haben Sie das bis zum Ende mitgetragen?

Gerharter: Die Migros-Kooperation war erst in der Embryonalphase, wir hätten Zeit gebraucht. Und im September 1994 habe ich ja meinen Rücktritt angeboten, man nahm ihn aber nicht an. Davor war ich überzeugt, dass man den Konsum sanieren kann, wenn man meine Konzepte umsetzt. Ich habe das Personal um 4500 Köpfe verringert, das war ja einer der Gründe, warum man so unfreudlich mit mir umging. Ich habe Kollektivverträge gekündigt, 270 Läden und 50 Fabriken geschlossen...

STANDARD: ...und sind trotzdem gescheitert.

Gerharter: Ich bin nicht gescheitert. Ich weiß bis heute nicht, warum der Geldfluss der Banken gestoppt wurde.

STANDARD: Sie schreiben, der Konsum wurde von Sozialdemokratie und Gewerkschaft im Stich gelassen. Warum soll das so sein?

Gerharter: Es war so, aber ich weiß nicht warum. Ein Benya hätte den Konsum nicht untergehen lassen. So aber waren alle still. Im März 1995 habe ich noch Kanzler Vranitzky brieflich um Hilfe gebeten. Keine Antwort.

STANDARD: Die Bawag war "führend an der Konsum-Zerschlagung" beteiligt?

Gerharter: Ja. Letztlich war der Konsum aber der Beginn des Niedergangs der Bawag.

STANDARD: 1992 wollte die Bank Austria zwei Milliarden Schilling als stille Beteiligung in die Bawag stecken. Ist das an Flöttl senior gescheitert?

Gerharter: Nicht nur, auch am ÖGB. Man wollte niemand Fremden in die Bawag rein nehmen; schon der Konsum, namentlich Gerharter, hat ihnen gereicht.

STANDARD: Sie haben nach der Konsum-Pleite an die 17 Mio. Schilling Abfertigungen bekommen, die Pensionisten von Konsum, Gerngroß und Co. kamen nicht so gut weg...

Gerharter: Das stimmt nicht, ich habe in Relation weniger als die anderen bekommen. Ich darf dazu aus rechtlichen Gründen nichts sagen.

STANDARD: Sie sind am "System alt" der Verfilzung gescheitert, wären Sie im "System neu" nicht gescheitert?

Gerharter: Ich weiß es nicht. Ich bin ein Grenzgänger zwischen beiden Systemen.