Mit 19.30 Uhr Ortszeit (18.30 MESZ) wurde am Sonntag nach fieberhaften Konsultationen endlich der Termin festgesetzt, zu dem Israels Premier Ehud Olmert mit seinem Rücktrittsschreiben in der Hand vor der Präsidentenkanzlei in Jerusalem vorfahren sollte. Durch das vom Grundgesetz vorgesehene enge Zeitkorsett hatte sich eine beinahe unmögliche Situation ergeben.

Mit der Überreichung des Rücktrittsschreibens begann nämlich eine Stoppuhr zu laufen. Staatspräsident Schimon Peres hat genau sieben Tage Zeit, um alle im Parlament vertretenen Fraktionen zu treffen, ihre Empfehlungen zu durchdenken und einen Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung zu vergeben. Weil aber Peres am Montagabend zur UN-Vollversammlung in New York abfliegen soll, schmilzt die Frist auf kaum 24 Stunden zusammen.

Mehr Zeit benötigt

Der Stress, der damit auf den 85-jährigen Peres zukam, wäre selbst für einen Jüngeren schwer zu bewältigen. Auch die Parlamentsparteien gaben zu verstehen, dass sie mehr Zeit brauchen, um ihre jeweilige Linie festzulegen. Zuletzt hieß es, dass Peres den Abflug nötigenfalls verschieben oder die Reise ganz absagen könnte.

Peres sollte Israel in New York vertreten, weil Olmert und Außenministerin Zipi Livni wegen der innenpolitischen Turbulenzen unabkömmlich sind. Olmert hatte am Sonntagmorgen beim regulären Ministerrat „meine Entscheidung" mitgeteilt, „aus meinem Amt als Ministerpräsident von Israel auszuscheiden", aber zunächst keinen genauen Zeitpunkt mitgeteilt.

"Nationale Notstandsregierung"

Die 50-jährige Livni war erst am Mittwoch von der regierenden Kadima-Partei als Olmerts Nachfolgerin zur neuen Vorsitzenden gewählt worden. Es gilt als sicher, dass Livni letztlich den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt, aber keineswegs als sicher, dass sie ihn auch ausführen kann. Die Hauptfrage ist dabei, wohin Ehud Barak steuert, der Chef der Arbeiterpartei und damit der wichtigste Koalitionspartner. Barak war es gewesen, der Olmerts Sturz erwirkt hatte, als er erklärte, dass er die Zusammenarbeit mit der Kadima nur fortsetzen wolle, wenn diese sich eine neue Führung gibt.

Nun heißt es bei der Arbeiterpartei plötzlich, dass man nur in einer „nationalen Notstandsregierung" weitermachen wolle, also in einer breiten Koalition, die auch den rechtskonservativen Likud einschlösse. Angesichts der Bedrohungen durch den Iran, die Hamas und die Weltwirtschaftskrise habe es keinen Sinn, mit einer wackeligen schmalen Koalition Zeit zu schinden. Barak traf sich am Wochenende demonstrativ mit Likud-Chef Benjamin Netanjahu, der aber für eine Regierungsbeteiligung unter Livni nicht zu haben ist und auf Neuwahlen drängt. (Von Ben Segenreich aus Tel Aviv/(DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2008)