Bild nicht mehr verfügbar.

Humor - trotz allem: Die internationale NGO „Clowns ohne Grenzen" arbeitet mit afrikanischen Dorfgemeinschaften wie hier in Lesotho zusammen, um Kinder zum Lachen zu bringen und lokale Helfer zu motivieren.

Foto: APA/EPA/KIM LUDBROOK

Standard: Bei der Umsetzung der UNO-Millenniumsziele gibt es zwar Fortschritte, aber es brennt immer noch an allen Ecken und Enden. Waren die Ziele zu ehrgeizig?

Stelzer: Es war notwendig, die Ziele genau so zu formulieren, um auch die Umsetzung messbar zu machen. Der große Erfolg der Millennium Development Goals (MDGs) war, dass sich in der Zwischenzeit der Großteil der Arbeit der UNO darum dreht. Bei einigen Zielen gibt es Erfolge, zum Beispiel bei Ziel Eins: Halbierung der Zahl der absolut Armen bis 2015. Die Zahl hat sich global von 1,8 auf 1,4 Milliarden verringert. Aber die Entwicklung ist unausgeglichen. Indien und China machen eine extreme Wirtschaftsentwicklung durch, die haben natürlich die Statistik nach oben gedrückt. Wo es Rückschritte gibt, ist Subsahara-Afrika - mehr als 50 Länder, die an keiner Art der Entwicklung teilnehmen.

Standard: Dort bestehen ja auch die größten Probleme. Warum verbessert sich nichts?

Stelzer: Es braucht natürlich eine gewisse Zeit, bis man die Infrastruktur schafft, damit Maßnahmen greifen. Das ist eine unglaubliche Aufgabe in Afrika. Es gibt zum Beispiel in großen Teilen überhaupt keine Energiequellen. Das heißt, wenn am Abend die Sonne untergeht, erstirbt das Leben. Es gibt natürlich auch kein Netz zur Energieverteilung, eine Energieversorgung nach unserem Muster kann man dort nicht aufbauen. Da muss man einfach schauen, was machbar ist.

Standard: UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat erklärt, man wisse genau, was zu tun sei. Nur umgesetzt wird es zu wenig. Fehlt nicht auch einfach der politische Wille?

Stelzer: Es mangelt an der Umsetzung der deklarierten Verpflichtungen. Da hängen wir hinterher, zum Beispiel bei der Anhebung der ODA (öffentlichen Entwicklungshilfe) auf 0,7 Prozent bis 2015. Hier gibt es eine Rückbewegung. Es gibt eine Gruppe von Staaten - in Europa zum Beispiel die skandinavischen Länder -, die die Ziele erfüllen und übererfüllen. Alle anderen sind Unter-Erfüller. Die Entwicklungsländer sind alle sehr weit weg - und der Druck auf die Politiker ist relativ gering.

Standard: Welche Auswirkungen haben die Nahrungsmittel- und die Finanzkrise?

Stelzer: Die Hungerkrise wird die Erreichung der Millenniumsziele noch viel schwieriger machen. Ein Drittel der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu ausreichender Nahrung - obwohl die Märkte überquellen und wir weltweit heuer mehr Nahrung produzieren werden als jemals zuvor. Viele Länder können einfach nicht genug produzieren, um die eigene Bevölkerung zu ernähren, aber durch die Preiserhöhungen sind Nahrungsmittel unerschwinglich geworden. Die Bauern im Rift Valley in Kenia zum Beispiel können sich heuer nur noch ein Drittel des Saatguts vom vorigen Jahr leisten. Unsere Großväter haben den Samen gesät, den sie selber gezogen haben. Das gibt es heute kaum noch, weil durch das genetisch veränderte Saatgut jedes Jahr neues Saatgut gekauft werden muss.

Wir stehen erst am Anfang einer Nahrungsmittelkrise, die nächstes Jahr noch viel größer sein wird. Die UNO hat eine Strategie entworfen. Um das Problem zu lösen, braucht man jedes Jahr zwischen 25 und 40 Milliarden Dollar. Das sind große Summen. Aber wenn man sich jetzt anschaut, dass Amerika durchaus bereit ist, 700 Mrd. Dollar in die Finanzkrise zu investieren, dann sind das relativ kleine Beträge.

Standard: Haben Sie schon Zusagen?

Stelzer: Die sind bis jetzt etwa im Bereich von einer Milliarde. Aber wenn zum einen bei der ODA die Vorgaben erfüllt werden, nämlich Anhebung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes weltweit bis 2015, und wenn es gelingt, den landwirtschaftlichen Anteil innerhalb dieser ODA von drei auf zehn Prozent zu erhöhen, dann können wir ungefähr 20 Milliarden Dollar davon abdecken. Dann haben wir immer noch eine Schere von 20 Milliarden pro Jahr, die vom jetzigen Ausgangspunkt immer noch nicht von öffentlichen Geldern gedeckt werden kann. Worum es geht, sind also auch privatwirtschaftliche Investitionen. Das heißt, die große Aufgabe der Zeit ist, die Stakeholders - Regierungen, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft - zusammenzubringen und in eine gemeinsame Lösung einzubauen. Hier haben wir keine Zeit. Das ist dringend. Die Menschen sterben jetzt - wenn wir nicht bereit sind, solidarisch zu teilen und global Mindeststandards zu erhöhen.

(DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2008)