Rutscht sie unter 50 Prozent, schwächt das nicht nur Ministerpräsident Günther Beckstein, sondern auch Kanzlerin Angela Merkel. Birgit Baumann berichtet.

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"Ich auch eine Brez'n, bitte", ruft ein junger Mann. "Bitte, ich nehm gleich zwei, da drüben steht meine Frau", sagt ein anderer. Es ist ja immer ein wenig peinlich, wenn man bei Wahlgeschenken besonders eifrig zugreift, aber an diesem viel zu kalten Septembertag gibt es auf dem Ansbacher Marktplatz kein Halten mehr, als die CSU-Helfer mit dem Laugengebäck in "B" -Form aufmarschieren. "B wie Bayern, B wie Beckstein", erklärt der Beipackzettel. "Die sind ja gar nicht frisch und warm", klagt einer der Wartenden jedoch sogleich und schaut enttäuscht.

Möglicherweise ist er einer dieser Leute, die Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) den letzten Nerv rauben. Darf im schönen Freistaat leben, darf jetzt gleich den Ministerpräsidenten sprechen hören, hat eine Brez'n in der Hand. Und ist immer noch nicht zufrieden. Beckstein erklimmt die Bühne, frisch wirkt auch er nicht mehr. Es ist ungefähr der 849. Wahlkampfauftritt, und er muss jetzt wieder all diese Unzufriedenen davon überzeugen, am Sonntag ihr Kreuz bei der CSU zu machen.

"Jede Stimme zählt"

Beckstein versucht es zunächst als Faserschmeichler. "Es ist ein Vorteil, in Bayern zu leben. Die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste von Deutschland, wir haben die höchste Zahl von Regelbeschäftigungen und das höchste Wirtschaftswachstum" , sagt er. Und damit das so bleibe, brauche "Bayern auch weiterhin eine starke, handlungsfähige Regierung" - eine also, die allein von der CSU gebildet wird.
Die Menge auf dem kalten Marktplatz klatscht müde und wird auch nicht munterer, als Beckstein fast schon fleht: "Jede Stimme zählt!"

Das zumindest ist kein Wahlkampfmärchen. So schlecht wie in diesem Wahlkampf ging es der CSU seit Jahrzehnten nicht. Seit 1962 regiert sie mit absoluter Mehrheit, bei der Wahl 2003 hatte Edmund Stoiber noch 60 Prozent geholt. Für den Sonntag jedoch sagt nun eine Umfrage nach der anderen das aus CSU-Sicht Unfassbare voraus: Die CSU wird unter 50Prozent rutschen und somit aus ihrem weiß-blauen Paradies gejagt.

Alkohol am Steuer

Die Verluste der Landesbank, das bundesweit strengste Rauchverbot, das Milliardengrab Transrapid, massiver Lehrermangel - all das hat viele Bayern verärgert. Und auch das Führungsduo selbst sorgt für Kopfschütteln. So mancher wähnte CSU-Chef Erwin Huber nahe am Größenwahn, als dieser während des müden Wahlkampfes erklärte: "Wir haben gut 50 Jahre regiert, die Wittelsbacher 700 Jahre - das ist unsere Vision." Beckstein hingegen meinte, mit zwei Maß Bier könne man noch Auto fahren und polterte, ein "anständiger Bayer" würde nur CSU wählen.

Flugs sprang die SPD auf den Zug auf und verteilt seither Buttons mit der Aufschrift: "Ich bin ein unanständiger Bayer." Ob es nützt, bleibt abzuwarten. Spitzenkandidat Franz Maget (Fraktionschef) dümpelt nur an der 20-Prozent-Marke herum. Dass in Berlin jetzt Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering das Sagen haben, ist gut für ihn. Sauer aber sind die bayerischen Genossen über den Drang der hessischen SPD zur Linkspartei. Dieser könnte sie Stimmen kosten, auch wenn sich Maget von Bayerns Linken distanziert.


Ein paar von ihnen tauchen plötzlich auch am Marktplatz von Ansbach auf. Sie pfeifen laut, aber Beckstein ist gar nicht sauer. Im Gegenteil, die Linken kommen ihm wie gerufen, sie taugen immer noch gut als Feindbild. Die DDR hätten sie ja schon zugrunde gerichtet, und jetzt fordere Parteichef Oskar Lafontaine doch glatt, man müsse die Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler enteignen. Beckstein schäumt: "Die Österreicher warten nur darauf, solche tüchtigen Leute aufzunehmen." Da endlich kommt Stimmung auf, und Beckstein schaut nicht mehr so verkniffen wie Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann nach der 2:5-Heimniederlage gegen Werder Bremen.

Pauli bei den Freien Wählern

Noch ist offen, ob Linke und Freie Wähler in den Landtag kommen und Beckstein womöglich um die Absolute bringen. Für die konservativen "Freien", die bisher nur auf lokaler Ebene agieren, engagiert sich CSU-Dissidentin Gabriele Pauli. Mit ihr mag Beckstein natürlich nicht koalieren. Dann, im Notfall, schon eher mit der FDP.

Aber eine CSU, die einen Partner braucht, ist nicht nur für Beckstein eine Horrorvision. Auch Kanzlerin Angela Merkel mag gar nicht daran denken. Die CSU müsse weiterhin "Politik aus einem Guss allein gestalten" können, sagt sie. Denn Merkel weiß ganz genau: Wenn die CSU dann auch bei der Bundestagswahl 2009 schwächelt, schmälert dies das Wahlergebnis der Union und damit ihre Chance, wieder ins Kanzleramt einzuziehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.9.2008)