Weit entfernt vom Rechtfertigungsdrang der Linken, vertritt Zipi Livni selbstbewusst den Glauben an das grundlegende Existenzrecht Israels. Doch sie ist bereit, mit pragmatischen Palästinensern ins Geschäft zu kommen und ihnen uneingeschränkte Souveränität gegen uneingeschränkten Frieden anzubieten. Sie wird keine Wiedereinbürgerung von Palästinensern in Israel selbst zulassen (kontrovers als "Rückkehrrecht" bezeichnet), aber Land ist ihr nicht heilig. Und sie bietet Juden und Arabern ein wenig Hoffnung, einen offenen Horizont und eine unauffällige Rationalität.

Dies ist ein Israel, dass Sie vielleicht nicht als solches erkennen, insbesondere wenn die elektronischen Medien Ihr Fenster zur Welt sind. Auf Israels lebhaftem Markt der ideologischen Debatten ist die Tatsache, dass Livni eine Frau ist, fast nebensächlich. Schließlich ist dies Israel, nicht die USA; das Geschlecht kann hier nie als alleiniges Attribut eines Menschen bestehen.

Trotzdem, sollte Livni in ein paar Wochen Israels Ministerpräsidentin werden, dann wird Israel das weltweit erste Land sein, in dem alle drei Gewalten von Frauen geleitet werden. Sie würde sich dem Oberhaupt der Legislative, Knesset-Sprecherin Dalia Itzik, und dem der Judikative, der Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, Dorit Beinish, hinzugesellen - nicht schlecht für ein Land im Kriegszustand, in dem Generäle in die Politik gehen und das öffentlich ein Machoimage hat.

Der israelische Mainstream hat diese Livni-Mentalität hervorgebracht, doch es sind viele weitere Kräfte am Werk. Livni kann auf verschiedene Weise scheitern. Falls sie keine Koalition zusammenbekommt, geht Israel an die Wahlurnen, wobei eine Koalition der religiösen Rechten herauskommen dürfte. Und selbst wenn sie sich durchsetzt, könnte sie sich die Zähne an denselben Zankäpfeln ausbeißen, die schon andere daran hinderten, Sicherheit und Frieden zu erreichen. - Angesichts ihrer bisherigen Bilanz jedoch hat sich Livni die Chance, es zu versuchen, mehr als verdient. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.9.2008)