Die gegenwärtige Krise des globalen Finanzmarktes, der seit Wochen die Titelseiten der Zeitungen beherrscht, macht deutlich: die Welt - und natürlich auch Österreich - hätte ein neues sozialdemokatisches Zeitalter dringend nötig. Eine international orientierte, politische Bewegung, die mit solider theoretischer Denkarbeit die Basis für ein Programm legt, mit dessen Hilfe unter den ökonomischen und ökologischen Bedingungen des 21. Jahrhunderts ein lebenswertes Leben für möglichst alle gesichert werden kann. Doch eine solche Bewegung ist nicht in Sicht. Das sozialdemokratischer Zeitalter, schrieb Ralf Dahrendorf schon vor Jahren, ist vorbei, auch in Österreich. So unwählbar wie jetzt war die SPÖ, jedenfalls für jene, denen „sozialdemokratisch" wichtiger ist, als „Partei", noch nie.


Bergab ging es schon länger. Aber mit Industriemanager Klima als Parteivorsitzendem begann der freie Fall. Sein Slogan anlässlich der Wahl im Herbst 1999 „Auf den Bundeskanzler kommt es an" war ein Offenbarungseid: Programm hat Nachrang. Gusenbauer war da ein logischer Nachfolger. Er, der intellektuell vielleicht das Zeug gehabt hätte zu wissen, worauf es ankommt, vergaß es, sobald er von der Vision, im Kanzleramt am Ballhausplatz zu sitzen, berauscht war. Die knappe Mehrheit, die ihm 2006 trotz Stimmenverlust und völlig unerwartet in den Schoß fiel, konnte er nicht in Politik umsetzen. Die ÖVP trieb ihn nach Belieben vor sich her.

Gusenbauer schaffte es, aus dem Kanzlerbonus, der, wie er hoffte, automatisch für ihn arbeiten würde, einen Kanzlermalus zu machen. Diesen August musste er gehen. Aber nicht wegen seiner politischen Umfaller oder seiner ungeschickten Barroso-Barolo-Verwechslungen. Gar nicht so lange vor Gusenbauers Abgang hatte ihn Ernst Woller, der Chef der Wiener SP-Bildung, in einer Veranstaltung vor Funktionären noch hoch gelobt: „Unser Gusi wirkt nicht nur stark, er ist auch ein starker Bundeskanzler". Der Realitätsverlust erhielt Applaus. Gusenbauer wurde von außen, von seinen katastrophalen Werten in den Meinungsumfragen demontiert. Faymanns und Gusenbauers ominöser Brief, der die politische Großwetterlage Österreichs radikal veränderte, ist nicht so sehr wegen seines Inhalts makaber. Über die Stärkung des plebiszitären Elements in unserer Demokratie könnte man ohne Weiteres diskutieren, auch im Zusammenhang mit der EU. Aber darum ging es den beiden nicht.

Für die SPÖ waren immer schon und sind immer noch Volksabstimmungen eigentlich ein politisch gefährlicher Unfug. Nur Kreisky konnte es sich leisten, gegen den Mainstream in der Partei eine Abstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf durchzusetzen, und das ist 40 Jahre her. Die SPÖ-Führung ist grundsätzlich auch europafreundlich eingestellt. Der Brief hat also nichts mit einer neuen sozialdemokratischen Gesinnung zu tun, er ist eine Unterwerfungsgeste gegenüber dem mächtigen Milliardär und Freund jenseits aller Gesinnung. Nicht auf sie, auf den Bundeskanzler kommt es ja an. Die Belohnung der Kronen Zeitung in Form einer geradezu peinlich übertriebenen Kampagne für Faymann folgte auf dem Fuß.

Das löste bei „ehemaligen Granden der SPÖ und prominenten SPÖ-Wählern" (so der Standard), unter ihnen der ehemalige und integre Finanzminister Ferdinand Lacina, Protest in Form eines besorgten offenen Briefes aus. Und jetzt wird's richtig schlimm: schon ein Monat später und ohne dass die Partei den Argumenten in diesem Brief in irgendeiner Weise Rechnung getragen hätte, findet man denselben Lacina als Unterstützer an der Seite Faymanns insbesondere auch für dessen populistische Forderung nach Halbierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Und zwar vermutlich wider besseres Wissen, denn andere Experten, die nicht gerade für die SPÖ wahlkämpfen, halten die Idee für ineffektiv, sozial nicht treffsicher und dafür zu teuer. In der Tat: Kann sich irgendwer daran erinnern, wo die Getränkepreise entsprechend gesunken sind, nachdem vor acht Jahren die Getränkesteuer auf alkoholische Getränke vom EuGH aufgehoben worden war?

Im Profil von vergangener Woche und auch in direkten Briefen schlägt Lacina jetzt kritischen Wählern vor, doch wieder SPÖ zu wählen und ihrem Unmut Luft zu machen, indem sie seine Lebensgefährtin Gertraud Knoll, die derzeit als Protegé auf dem ehemaligen Mandat von Caspar Einem im Nationalrat sitzt, aber für die kommende Wahl an eine unwählbare Stelle gesetzt wurde, mit Vorzugsstimmen zu unterstützen. Und dann wird Frau Knoll aus der SPÖ wieder eine sozialdemokratische Partei machen? Was immer sich Lacina da gedacht hat, zumindest die Optik ist verheerend. Ich komme aus einer bürgerlichen Familie. Der SPÖ trat ich mit etwa 30 aus Überzeugung bei, als die Ära Kreisky begann. Damals hieß das noch, in der Sektion als Subkassier zu beginnen. Ich habe es gemacht. Ich bin kein Kommunist und ich will auch keiner werden. Aber jetzt wähle ich Mirko Messner. Der weiß vielleicht auch noch nicht, wie's geht. Aber wenigstens, worauf's ankommt. (Peter Warta/DER STANDARD-Printausgabe, 24. September 2008)