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Der eine oder andere Banker findet Unterschlupf bei einer Investment-Boutique, für das Gros der Geld-Manager heißt es nun aber: umsatteln.
New York / Wien - Wall-Street-Veteran Peter Boockvar hat sich dieser Tage beim Summen eines REM-Songs ertappt. Allerdings sollte das Lied laut dem Aktienstrategen umgetextet werden: "It's the end of American capitalism as we know it, and I feel fine", schlägt er vor. REM besang freilich das Ende der Welt - eine passende Hymne zu den gewaltigen Umstürzen der letzten zehn Tage, die Wall-Street-Leute langsam zu verdauen versuchen.
"Es ist eine neue Ära", in der sich die Banken mit reduziertem Personal wieder an die Arbeit machen werden müssen, meint Hal Vogel. Als Präsident seiner eigenen Investmentfirma muss er im Gegensatz zu vielen anderen keine Jobängste haben. Außerdem hat er schon lange gegen den Markt gewettet und damit sogar bei den Börsensturzflügen letzte Woche Geld gemacht.
Eine junge Lehman-Brothers-Mitarbeiterin, die Sarah genannt werden will (ihre Chefs haben unter Androhung des Verlusts der Abfertigung davor gewarnt, mit Journalisten sprechen), kann davon nur träumen. Ihre Chefs wissen seit dem Verkauf an die britische Barclays vor einer Woche noch immer nicht, wie die Zukunft ihrer Abteilung aussehen wird. "Jeden Tag fragen wir, und jeden Tag heißt es: keine Ahnung", erzählt sie. "Das schafft sehr viel Stress. Die ganze Abteilung sucht den ganzen Tag über neue Jobs anstatt arbeiten zu können."
Sarah, die nach langem Jobsuchen erst vor kurzem wieder im Finanzsektor untergekommen ist, konzentriert sich bewusst auf Jobs in anderen Sektoren. "Es gibt kaum Wall-Street-Jobs", sagt sie. "Außerdem brauche ich einen Job, der mich begeistert und bei dem ich nicht in ständiger Angst leben muss." Für Sarah wie auch für andere haben die Lehmann-Pleite, der Notverkauf von Merrill Lynch, der Rettungsplan für die Banken und der Wechsel der letzten beiden unabhängigen Investmentbanken, Goldman Sachs und Morgan Stanley, zum Kommerzbank-Status ein vertrautes System zerschlagen.
Raus aus dem Big Apple
Beobachter erwarten, dass viele arbeitslose Banker den Big Apple verlassen werden müssen, um bei ausländischen Instituten oder kleineren Boutiquen in anderen Landesteilen Fuß zu fassen - auch zu geringeren Löhnen und Konditionen. Andere werden Finanzpositionen in anderen Sektoren, wie etwa Gesundheit oder Bildung, übernehmen müssen oder gänzlich umlernen. Gyula Schuch, Chef der zu UniCredit zählenden CA IB in New York, verweist auf die vielen ausgebildeten Physiker und Mathematiker unter den Derivate-Künstlern. "Der ein oder andere wird einen Job als Atomphysiker bekommen, aber für die Mehrheit wird es schwierig", sagt er zum STANDARD.
New Yorker Zeitungen sind voll von Ratschlägen für Wall-Street-Leute ohne Jobs. Dazu gehört etwa die Warnung, nur ja nicht verzweifelt wirken zu dürfen. Das ist freilich leichter gesagt als getan - sogar für Wall-Street-Leute, die wie Stephanie bei Banken arbeiten, die bisher besser dastehen als andere. "Ich spüre die Angst vor dem Ungewissen", sagt sie, obwohl ihr Job nicht in Gefahr scheint. "Es ist schwieriger, sich zu 80 Stunden oder mehr Arbeit pro Woche zu motivieren, wenn man nicht weiß, ob man in einigen Monaten noch seinen Job hat." Schuch verweist darauf, dass viele Banker mit Aktien belohnt wurden, die jetzt "nichts mehr wert sind". Die Zeit der hohen Boni sei ohnehin vorbei.
Wie auch andere Börsen-Veteranen sorgt sich Boockvar nach den Rettungsaktionen der letzten Woche vor allem vor zu viel Regierungseinfluss, der Innovation und Unternehmertum unterbindet. "Es ist als würde man wieder bei den Eltern einziehen", sagt er. "Man bekommt hausgemachtes Essen, keine Mietrechnung und wenig Stress, dafür wird man nicht erwachsen und lernt nicht Verantwortung zu übernehmen und auf Wohlstand hinzuarbeiten."
Andere meinen aber, Wall Street wird es - wie schon nach dem Platzen der Internetblase - nach einiger Zeit des Aufrappelns wieder schaffen, von der neuen Realität zu profitieren. Und neue Exzesse schaffen. "Die hellsten Köpfe werden wieder Wege finden, abzucashen", meint Finanzexperte Tim, der gerade seinen MBA macht. "Sie werden früher oder später die besten Finanzinstrumente von der Regierung zurückkaufen und große Gewinne machen." (Georg Szalai Andreas Schnauder, DER STANDARD, Printausgabe, 24.9.2008)