Wenige Stunden, nachdem Zipi Livni die Verhandlungen über die Bildung einer neuen israelischen Regierung begonnen hatte, gingen bereits Gerüchte um, sie könnte alles wieder hinschmeißen. Wer könnte ihr das verübeln?

Livnis wichtigste Verbündete, die Arbeiterpartei und die streng religiöse Shass-Partei, sind in einem kümmerlichen Zustand. Die Arbeiterpartei hat es weder geschafft, sich in der Regierung ein eigenes Profil zu geben, noch sich personell zu erneuern. Ihr Führer, Ex-Premier Ehud Barak, steht ebenso sehr für Erneuerung wie eine Museumsfigur. Bei der Shass-Partei fragt man sich ohnehin, was die in der Regierung will. Sie ist gegen Gespräche mit den Palästinensern, bei denen es einmal auch um eine Teilung Jerusalems gehen könnte. Und auch in Livnis Kadima-Partei rumort es, viele sind mit der neuen Chefin unzufrieden.

Ein politischer Gegner spielt ihr derzeit allerdings in die Hände: Benjamin Netanyahu. Der Chef der rechten Oppositionspartei Likud konnte in den vergangenen Jahren mit "Hau drauf" -Parolen punkten. Bei Neuwahlen könnte er gewinnen. Das fürchtet allen voran die Arbeiterpartei: Sie kann als Juniorpartner Livnis in einer Koalition zwar wenig gewinnen, aber bei Neuwahlen alles verlieren. Nützt Livni diese Angst aus, könnte es ihr gelingen, eine stabile Koalition zu zimmern. Unter den Kompromissen, die sie dafür schließen muss, und unter den Attacken ihrer Gegner wird Livnis Image als Sauberfrau zerbröckeln. Aber das ist nicht einmal schlecht. Livni wurde durch die unappetitlichen Affären ihrer Konkurrenten an die Macht gespült. Es ist höchste Zeit, dass ihr Profil an Konturen gewinnt. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.9.2008)