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Foto: REUTERS/Rick Wilking

Mehr als ein "Poster-Girl"? Neben "We can do it!"-Plakaten mit Palins Konterfei wird auch der Lippenstift in der AnhängerInnenschaft zum Symbol für die Frauenpower einer Sarah Palin.

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Viele ÖsterreicherInnen wollen nicht verstehen, warum sich so viele AmerikanerInnen vorstellen könnten, für Sarah Palin zu stimmen. Selbst für mich ist das schwer zu verstehen, und ich bin Amerikanerin.

Ich habe mir die Kommentare von UserInnen bei dieStandard.at angesehen: Einige stellten die Meinung der amerikanischen Kolumnistin Tammy Bruce in Frage, die vorschlug, Frauen sollten eine Kandidatin unterstützen, auch wenn sie ihrer Politik eigentlich nicht zustimmen. "Wie kann jemand für eine so erzkonservative Frau wie die Palin stimmen wollen, die nicht nur mit einer völlig gegensätzlichen Überzeugung antritt, sondern auch den Kreationisten das Wort redet und erwiesene Erkenntnisse zur Erderwärmung mit dem 'Argument' begegnet, dies sei Gottes Wille?" schreibt da Rinius ante portas.

Kategorie Geschlecht

Vielleicht liegt das Unverständnis von Rinius gegenüber Palins "Zauber" – und der implizierten rechtsextremen Haltung - darin, dass es in Österreich fast keine Evangelikalen gibt. Oder vielleicht darin, dass Religion nur eine marginale Rolle in der österreichischen Politik spielt, oder darin, dass Erderwärmung eine akzeptierte Realität in Europa ist. Oder eben darin, dass für einige WählerInnen – was mich ebenso perplex zurücklässt - die Kategorie Geschlecht alles andere übertrumpft.

"Angenommen eine Frau würde bei einer Wahl mit der Forderung 'Berufsverbot für Frauen' antreten. Wäre sie dann die bessere Wahl, als der Mann, der für gleiches Gehalt und Chancen im Beruf steht?", schreibt Parolenmeteor. "Die DemokratInnen stehen für Gleichberechtigung von Frauen und homosexuellen Partnerschaften, für das Recht auf Abtreibung. Palin steht für das Verbot der letzten beiden Punkte. Sie ist damit gegen die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper. Da sie aber eine Frau ist und die Lebenswirklichkeit einer solchen kennt, ist sie die bessere Wahl? Im Ernst?"

Cindy versus Sarah

Die UserInnen waren erfreut über eine Meldung, die offenlegte, dass John McCains Ehefrau Cindy nicht auf Palins ultrakonservativen Kurs fährt. "Es gibt wenigstens eine Person in der Familie McCain, die a Hirn hat", schreibt Fibiundchillie. Allerdings, wie Jokergirl uns erinnert: "Cindy McCain steht aber nicht auf dem Wahlzettel."

Stimmt. Jedoch: Wenn man die Webseite McCains - www.johnmccain.com - besucht, findet man mehr Information über Cindy als über Sarah. Bis letzte Woche war alles, was unter "About Sarah Palin" gepostet war, der Auszug aus der Rede, die sie beim republikanischen Parteitag gehalten hat. Mittlerweile wurde das mit einer Biografie ersetzt, die Augenmerk auf Palins zwei Jahre als Gouveneurin Alaskas lenkt.

Cindy dagegen hat nicht nur eine vollständige Biografie-, sondern auch eine Nachrichten-Seite über ihre humanitären Reisen nach Ruanda und Südostasien. ÖsterreicherInnen sind bei diesem Punkt hellhörig: Palin kann erst seit einem Jahr internationale Reisen unternehmen – davor hatte sie keinen Reisepass. Für AmerikanerInnen ist das keine große Sache. Aber ich fühle mit meinen europäischen FreundInnen mit, die sich wünschen, dass Palin offener für den Rest der Welt wäre. "Eine Person, die ihr Leben lang nicht im Ausland war, die vermutlich keine Fremdsprache spricht, die völlig ahnungslos ist, was die Welt betrifft, die soll Vizepräsidentin der USA werden?", fragt KKdJ. "Weil Alaska so nah an Russland liegt? O Graus des einfachen Weltbildes..."

Aufmerksamkeitsdefizite

Jetzt sind Showgehabe und Firlefanz rund um den Parteitag vorbei. Amerikanische WählerInnen beginnen, die KandidatInnen näher zu prüfen. Aber AmerikanerInnen werden oft mit deren Lebensgeschichten abgelenkt. Das ist ein Vorteil für die Republikaner, die auf Palin als "Poster-Girl" setzen, das für die Verbesserung der Lebenssituation mittelständischer Amerikanerinnen stehen soll. Sie hoffen, dass vor allem Frauen überzeugt werden, sich mit Palins Privatleben zu identifizieren – ohne ihren Lebenslauf zu hinterfragen.

Sie sollen Palin wählen, weil sie Mutter und Ehefrau ist, weil sie den Spagat zwischen Arbeit und Familie problemlos zu bewältigen scheint, weil sie zur Zeit mit handfesten Problemen wie der Teenager-Schwangerschaft ihrer Tochter oder ihrem eigenen Baby mit Downsyndrom konfrontiert ist - Themen, die sie mit vielen anderen Amerikanerinnen teilt.

Was die Republikaner tunlichst nicht wollen, ist die Auseinandersetzung mit Palins Unerfahrenheit auf dem politischen Parkett, ihr Hang, Leute zu feuern, die nicht ihrer Meinung sind, oder auch, dass sie ein finanzielles Desaster in der Stadt Wasilla zu verantworten hat. Palin wird in diesen Punkten von der kritischen Presse - nicht vor den Fotografen - abgeschirmt.

Vergessliche AmerikanerInnen?

"Es gibt rechte Feministinnen-und ich kann gut und gerne darauf verzichten, wenn Frauensolidarität das wichtigste ist - und eine Blindheit gegen Homophobie, Rassismus u.s.w. mit sich bringt - ist das für mich nur mehr widerliche Dummheit", schreibt Merz1. "Im übrigen: Die DemokratInnen haben wenigstens eine Präsidentschaftskandikatin aufgestellt. Schon vergessen?"

Könnte sein. Die ÖsterreicherInnen offenbar nicht. (Melissa Coulter/dieStandard.at/27.9.2008)