Kaum wird der Ton lauter, werden die Argumente härter, die Auseinandersetzungen schärfer, da beginnt das große Lamentieren: Jetzt streiten sie schon wieder.

So wirkte auch der Parlamentstag am Mittwoch wie zuvor die TV-Debatte zwischen SPÖ-Kanzlerkandidat Werner Faymann und ÖVP-Herausforderer Wilhelm Molterer mancherorts abschreckend. „Die Stunde der Wählervertreibung", zeigte sich etwa die grüne Opposition moralisch über das Rededuell entrüstet. Das größte Frühstücksradio spielte zur Bedienung der Vorurteile über Politiker immer wieder die härtesten Passagen als Abschreckung.

Nur, bitte: Was soll am Faymann-Molterer-Streitabend so furchtbar gewesen sein? Es war eine erfrischend emotionale, teilweise - taktisch angelegte - sehr harte Auseinandersetzung um politische Standpunkte, Unterstellungen, Lügen, Bösartigkeiten und Schreibfehler (Molterers "StandarT" wird ihm noch lange nachhängen). Gut: Die Konfrontation war manchmal untergriffig, sie blieb aber immer im Rahmen. Ein Streitgespräch eben. So what? Die Politik, die parlamentarische, funktioniert nun einmal über die Form der verbalen Auseinandersetzung.

Wilhelm Molterer hat sehr deutlich seinen Weg, den er als Kanzler gehen will, vorgezeichnet: Er wolle an morgen denken und heute kein Steuergeld verpulvern. Werner Faymann denkt ans Heute: Jetzt müsse geholfen werden. Von diesen beiden Grundpositionen aus entwickelten Molterer und Faymann ihre Vorstellungen von Politik. Der harte Ton war - in Anbetracht der schweren Verstörungen zwischen den Parteien - angemessen und brachte auch ein Ergebnis: Endlich wurden Ecken und Kanten sichtbar.

Warum also darf in diesem Land nicht gestritten werden? Liegt's - tiefenpsychologisch spekuliert - vielleicht daran, dass wir uns im Duckmäusertum und Intrigieren leichter tun als in der kritischen Auseinandersetzung? Ein Blick in die angloamerikanischen Parlamente - oder auch in das deutsche - zeigt doch, wie sehr die parlamentarische Demokratie vom harten politischen Diskurs lebt.

Die Alternative zur politischen Streitkultur kommt beim Publikum ja gleich schlecht weg. (Man stelle sich vor, es säßen lauter Alexander Van der Bellens in einer Diskussionrunde.) Kaum einigen sich Politiker in einer Sache - ohne Streit -, mosern dieselben, die den Streit abstoßend finden, die Politiker seien auf Kuschelkurs - also urlangweilig, ein Attribut, unter dem schon die große Koalition vor 2000 bisweilen zu leiden hatte.

Zivilisierte politische Streitkultur heißt Aufzeigen unterschiedlicher Interessen und Suche nach vernünftigen Kompromissen. Wo die Grenzen liegen, hat Graz im Gemeinderatswahlkampf demonstriert. Der hetzerische Wahlkampfton der FPÖ, der Menschenhass, den diese Partei verbreitete, war abstoßend und kostete die Blauen Wählerstimmen.

Es scheint, die FPÖ ist dadurch vorsichtiger geworden. Natürlich laufen auf ebener Erd' im Bezirk beim Face-to-Face-Wahlkampf ähnliche Parolen. Im öffentlichen Wahlkampfdiskurs aber nahmen sich FP-Chef Heinz-Christian Strache und BZÖ-Altvorderer Jörg Haider zurück. Die beiden Wölfe haben sich das Schaffell übergezogen. Damit blieb Österreich - bis jetzt - vom prognostizierten „schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten" im Grunde verschont. Von den paar Spritzern aus schwarzen und grünen Schmutzkübeln, die die Roten und Liberalen anpatzten, einmal abgesehen.

 

Aber es wurde gestritten, und jeder der Kandidaten hat sich positioniert. Man weiß, wo sie stehen. Was mehr kann von einem Wahlkampf verlangt werden? (DER STANDARD, Printausgabe, 25.9.2008)