Wenn es noch einer Begründung für den Überdruss mit Politik und Politikern bedurft hätte - die beiden Kanzlerkandidaten haben diese geliefert. Und wer in diesem Land empört war über die Performance der letzten großen Koalition - der musste sich nach dieser Diskussion bestärkt sehen. Es war über weite Strecken kein Dialog, kein Gespräch miteinander, sondern durcheinander und gegeneinander. Minutenlang blieb völlig unverständlich, was da eigentlich die Aussage sein sollte, da beide Politiker gleichzeitig redeten und versuchten, sich gegenseitig zu übertönen, mundtot zu machen. Das zeugte nicht von überlegener Gesprächsführung. Die Slogans der beiden Parteichefs aus der ersten Wahlkampf-Phase - "es reicht" und "genug gestritten" - wurden hier jedenfalls nachträglich Lügen gestraft. Die Würde blieb weitgehend auf der Strecke.

Die Moderatorin war dieser Situation streckenweise nicht mehr gewachsen. Dazwischen wurden Anschuldigungen ausgetauscht - und auch vor billigen Sprüchen nicht zurückgeschreckt: Die SPÖ als "Schuldnerpartei Österreichs" . Die Exponenten der beiden Noch-Großparteien wandten sich unübersehbar an ihre eigene Klientel und versuchten dort zu punkten. Bisher unentschlossene Wähler hat die Fernseh-Debatte der Kanzlerkandidaten wohl kaum von einer dieser Parteien überzeugt, sondern eher abgeschreckt: Sie werden sich den Oppositionsparteien zur Rechten oder Linken zuwenden.

Denn eines war immerhin klar nach dieser Konfrontation: Die große Koalition ist in der Tat klinisch tot - zumindest eine große Koalition mit diesen Akteuren. Vor den Fernsehkameras waren sie sichtlich bemüht, die Kontraste zusätzlich zu akzentuieren und negative Aspekte ihres eigenen Images zu überspielen: Faymann, der Liebenswürdig-Kompromissbereite, verteidigte unerbittlich seine Position und Molterer, der zwar Freundliche, aber kaum Charismatische, gab sich staatsmännisch-überlegen. Ihm würde ich in diesem Zweikampf die Palme überreichen: Molterer wirkte souveräner als sein Gegenüber, vor allem in seiner Domäne, dem Finanzbereich. Molterer hat zweifellos an Profil gewonnen. Wenn er sprach, sah sich Faymann in die Rolle des Schuljungen versetzt, der von seinem Lehrer abgekanzelt wurde.

Der an sich sachlich fundierte Vorwurf Faymanns, Molterer habe garantiert, dass es keinen Koalitionsbruch und vorgezogene Neuwahlen geben werde, stieß angesichts der Unerschütterlichkeit Molterers völlig ins Leere.

Umso unnötiger waren die Gags, welche Molterer aus der Mottenkiste der politischen Diskussion hervorholte - wie das Aufzeigen einer auf einem Karton aufgeklebten Zeitungsschlagzeile. Molterers Attacke, Faymann knüpfe im Hinblick auf unerfüllbare Wahlversprechen genau dort an, wo dessen Vorgänger Gusenbauer aufgehört habe, traf hingegen sein Gegenüber an der verwundbarsten Stelle: Der Senkrechtstarter Faymann hat seinen steilen Aufstieg ausschließlich dem Bemühen seiner Partei zu verdanken, die Erinnerung an Gusenbauer möglichst rasch zu tilgen.

Trotz der streckenweise völlig chaotischen Diskussion wurden immerhin die Grundpositionen klar: Faymann will soziale Maßnahmen jetzt - ungeachtet der längerfristigen Kosten. Molterer erschien als der verantwortungsbewusstere Politiker, der sich in seinem Handeln von den düsteren konjunkturellen Aussichten und nicht von kurzfristigen wahltaktischen Erwägungen leiten lässt - auch wenn diese sozialpolitisch durchaus argumentierbar wären.

In seinem Bekenntnis, selbst in Wahlkampfzeiten unangenehme Wahrheiten auszusprechen, signalisierte er Aufrichtigkeit. Molterers Formel "fünf Jahre statt fünf Punkte" hatte Faymann ebensowenig Ebenbürtiges entgegen zu halten, wie Molterers Aussage, er wolle keinen Kanzler, der ausschließlich von Dichands Gnaden regiere. Touché. (Charles E. Ritterband, DER STANDARD, Printausgabe, 25.9.2008)