Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

 

Es war vor etwas mehr als einer Woche. Da jubelte R. Denn auch wenn es online Leute gegeben hatte, die seine Idee, die Rückwärtssprache durch Kurse und intensive Öffentlichkeitsarbeit zu propagieren, als alten Hut abgetan hatten – weil schließlich jedes Kind doch irgendwann einmal Worte uns Sätze rückwärts zu sprechen versucht hatte – war das Feedback in der Echtwelt ein bisserl ganz anders. Interessiert – wenn auch mit einem kleinen ironischen Lächeln nämlich, erzählt R.

R. ist ein alter Bekannter. Und eigentlich weiß ich bis heute nicht, was ich von ihm halte: Vor mittlerweile gut 15 Jahren stolperte er – bewaffnet mit einem Spazierstock mit rundem silbernen Knauf – in mein Redakteurskammerl (damals beim Falter) und knallte mir eine Audio-Kassette auf den Tisch: Er habe, erzählte er, da nämlich einen „Techno Song“ aufgenommen. Und im Text beschreibe er die Wiener Unterwelt.

Diplomatisch

Ich hörte den Song erst, als R. schon wieder weg war. Und bin bis heute froh darüber: Ich bin heute noch ganz schlecht im höflichen Umschreiben der Formulierung „grauenhaft und peinlich – am besten tun wir so, als habe das keiner gehört“ – aber im Vergleich zu damals bin ich heute Großmeister der diplomatischen Abfuhr.

Aber als R. sich wieder meldete, war er ohnehin längst in ganz andere Projekte vertieft: Er habe, erklärt er, ein Büro gegründet. Ein, nein das  Creativ-Büro. Und dass das fast nach einem kleinen Wortwitz klang, bemerkten alle – nur nicht R. Im Creativ-Büro, erzählte er, würde man kulturelles, kreatives und künstlerisches Neuland betreten. Als erstes plane er Führungen durch die Wiener Unterwelt. 

Nix Neues

Ich war bestimmt nicht der erste, der R. damals schon darauf hinwies, dass es in Wien schon einige Anbieter von Kanaltouren gab. Aber weil R. R. ist, ließ er sich schon damals von derlei Anmerkungen nicht irritieren oder gar von seinem Projekt abbringen: In R.s Welt ist das, was gerade über dem Horizont sichtbar wird, immer etwas Neues und Aufregendes. Und R. hat keinerlei Hemmungen, diese fast kindliche Entdeckerfreude dann auch zu zelebrieren und zu leben – wurscht, was der Rest der Welt dazu sagt.

R.s Kanalführungen wurden ein Bombenerfolg. Auch wenn das Vorneweg-Publikum natürlich ätzte und blöd grinste. Aber viele Andere, die sich nicht zu cool, erhaben oder wichtig fühlen, etwas spannend zu finden, was andere schon kennen, kamen. Und genossen. Gerade in letzte Zeit waren R.s Kanalführungen ja hier wieder Thema. Und im Zuge des Unterwelt-Geplauders erzählte mir R. dann einmal von seinen Rückwärtssprache-Ideen.

Subjektives Entdecken

Natürlich war das wie alles bei R.: Wenn man ein bisserl kratzte, dann hatte wer anderer es auch schon gemacht. Oder verwendet. Oder gesagt. Aber wie immer war das R. egal: Begeisterung, sagte das Glänzen in seinen Augen, ist immer etwas ganz Subjektives. Und das ist gut so. Denn sonst könnte sich niemand über Dingen freuen, die davor schon anderen Menschen begeistert hatten: Bilder, Bücher, Filme – oder auch Reiseziele.

Die Rückwärtssprache hatte R. so entdeckt, wie es alle Menschen vor ihm getan hatten: Aus Langweile hatte er zuerst Wörter, dann Sätze und dann Texte rückwärts zu lesen und dann zu sprechen begonnen. Aber im Gegensatz zum Rest der Welt, beschloss R. noch nie, für diese und andere Kindereien zu erwachsen zu sein.

VHS

Und so erzählte er mir von seiner alten Idee eines VHS-Kurses im Retourplaudern. Weil ihm, wie er sagte, Gesprächspartner fehlten. Und er nur so herausfinden könne, ob man in der Rückwärtssprache abseits von Filmen (R. hatte seine Sprache auch in seinen Film eingebaut – und natürlich war es ihm vollkommen wurscht gewesen, dass auch das andere schon getan hatten) überhaupt Konversation betreiben könne. Ich schrieb darüber.

Umgehend heulten im Netz jene los, die in im Web immer losheulen. Zum Glück ignoriert auch R. längst, was virtuelle Schlammcatcher im ewig gleichen Chor absondern. Weil das, erzählt er, mit dem Feedback im echten Leben so überhaupt nichts zu tun hat: Die Reaktion aufs angeblich so uninteressante Rückwärtssprechen waren ein paar TV-Beiträge gewesen. Und ein Auftrag: Die VHS wird R. ab dem Frühjahrssemester einen Kurs in Rückwärtssprache halten lassen.

Tag der Sprache

Darüber hinaus hat R. nun einen runden Tisch einberufen. Schließlich ist am 26. September der "internationale Tag der Sprache" und, schreibt R. "deshalb mache ich an diesem Abend ab 19h einen kleinen runden Tisch bei mir im Creativ Büro (www.ryborz.at) zur Diskussion um dieses Thema." Denn er wolle schon wissen, ob das " nur Schwachsinn, Kindergag oder vielleicht wirklich mal was Anderes, wie etwa Gehirntraining" sei. Und weiter "anwesend sind: Mag. Neunteufel, Germanistik, Dir. VHS Wien-West; Mario Reiter, vergleichende Literaturwissenschaft (hat sich gemeldet, da er seit 10J. ebenso RW spricht) und mögliche Gäste - und ich als Gastgeber."

 Natürlich habe ich ein bisserl gegrinst, als ich R.s Mail gelesen habe. So wie immer. Aber dann wurde ich fast neidig. Denn das eigene Ding derart konsequent und unbeeindruckt von dem, was der Rest der Welt davon hält, durchzuziehen, traut sich nicht jeder. Und das verdient Respekt. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 17. September 2008)