London - Spekulanten, die mit fragwürdigen Methoden Vorteile aus der gegenwärtigen Finanzkrise ziehen, sind nach Ansicht des Erzbischofs von York "schlicht Bankräuber" . Für ihn sei es geradezu kriminell, dass solche Leute mit Leerkäufen 190 Mio. Pfund (240 Mio. Euro) erwirtschaftet hätten, sagte der anglikanische Geistliche John Sentamu vor einer Versammlung internationaler Banker in London. Er bezog sich dabei auf die Übernahme der Halifax Bank of Scotland (HBOS) durch Lloyds TSB in der vergangenen Woche.

Auf den Finanzmärkten scheine es heute zuzugehen wie in dem Märchenbuch "Alice im Wunderland", sagte der in Uganda geborene Bischof. Der Aktienwert einer Bank hänge offenbar nicht mehr von ihrer Leistung ab, sondern vom Wohlwollen der Regierung, ihr in Krisenzeiten zu Hilfe zu kommen.

Der britische Premierminister Gordon Brown hatte die Übernahme der HBOS gefördert, um den Zusammenbruch der Hypothekenbank zu verhindern. Zugleich hat die Regierung sogenannte Leerverkäufe von Aktien eingeschränkt - Geschäfte, bei denen Anleger auf sinkende Kurse eines Unternehmens wetten, um von fallenden Börsenkursen zu profitieren.

Sentamu äußerte sich auch kritisch zu dem Rettungspaket der US-Regierung für die Finanzmärkte im Wert von 700 Mrd. Dollar (477 Mrd. Euro). Viel kleinere Summen hätten schon ausgereicht, um die Armut in der Welt nachhaltig zu bekämpfen, sagte er.

Auch das Oberhaupt der Anglikanischen Kirche, der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, kritisierte das Finanzwesen. Die gegenwärtige Krise habe offenbart, wie einerseits unvorstellbarer Reichtum erwirtschaftet werden könne, schrieb er im Wochenmagazin Spectator. Doch ebenso sei klar geworden, wie irreal Finanzgeschäfte sein könnten, bei denen nichts herauskomme als ein guter Profit für die Händler.

Die anglikanische Church of England hat nicht zuletzt selbst ein weltliches Interesse an gesunden Finanzmärkten: Sie verfügt über Aktien, Grundbesitz und andere Anlagen, aus denen sie im vergangenen Jahr ein Einkommen von 144,6 Mio. Pfund erzielen konnte, wie die Kirchenkommission offenlegte. Demnach beläuft sich das Vermögen der Kirche auf insgesamt 5,6 Mrd. Pfund. (AP, DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2008)