Moskau wird alles regeln: Die Abchasen glauben, dass mit der Unabhängigkeit endlich friedliche Zeiten anbrechen. Ein Besuch in Suchumi, der Hauptstadt der von Russland anerkannten georgischen Separatistenrepublik Abchasien.
***
Wie von dunklen Augen werden die Spaziergänger, die die Uferpromenade in der abchasischen Hauptstadt Suchumi entlangschlendern, von den leeren Fensterrahmen zerstörter Wohnhäuser verfolgt. Die Menschen haben sich bereits an den bedrückenden Anblick gewöhnt. Seit mehr als einem Jahrzehnt leben die Einwohner Suchumis neben und teilweise sogar in Kriegsruinen. Der blutige Unabhängigkeitskrieg, der Anfang der 1990er-Jahre in Abchasien tobte, vertrieb die Hälfte der Bevölkerung - die Georgier - aus ihren Häusern und ließ die Dagebliebenen in trostloser Isolation zurück.
Auf dem einstigen Hauptplatz steht die größte Kriegsruine der Stadt, das Regierungsgebäude des Obersten Sowjets der UdSSR, wie ein Mahnmal. Die graue Ruine schmückt seit kurzem ein rotes Banner "Republik Abchasien - unabhängige Regierung". Hier feierten am 25. August mehr als 5000 Menschen die Unabhängigkeit, erzählt der 23-jährige Ruslan, der gemeinsam mit seinem Bruder Roman aus Moskau zur Hochzeit seiner Cousine gekommen ist.
Die Feier ist schon mehrere Stunden im Gange. Aber noch immer biegt sich die üppig gedeckte Tafel. Mehr als 600 Gäste sind eingeladen worden. "Im Kaukasus glaubt man daran, dass der Gast Glück mitbringt", erklärt Roman. Von der fortgeschrittenen Stunde zeugen die Emotionen, die in Folge reichlichen Wodka-Konsums und der aufpeitschenden Musik hochgehen. Immer wieder lassen die Hochzeitsgäste die frisch Vermählten, die abchasische Bruderschaft und die neu gewonnene Unabhängigkeit hochleben. "Jetzt ist in einem Monat das gelungen, was wir schon seit 15 Jahren versuchen zu erreichen", freut sich Ruslan, der im Krieg mit seiner Familie nach Russland floh.
Die international kritisierte Anerkennung Abchasiens durch Russland empfinden die Hochzeitsgäste als großen Segen. Seit dem Sieg über Georgien im Jahr 1992 war die abtrünnige Republik in einem Schwebezustand gefangen. Es herrschte weder Frieden noch wirklich Krieg. Nun hoffen die Abchasier, dass endlich Ruhe einkehrt. "Was zählt, sind die Menschen", sagt Turgan. Auch die Georgier seien gute Menschen, fügt er nachdenklich hinzu. Sie hätten nur einen größenwahnsinnigen Präsidenten.
"Putin - das ist ein Maladjez! Ein guter Typ. Und Medwedew auch. Sie sind ein gutes Team und haben gehandelt", sagt die Zeitungsverkäuferin Rosa, die sich selbst als Russin bezeichnet und vor mehr als 60 Jahren in Abchasien geboren wurde. Einen Großteil ihrer Pension bekommt Rosa von Moskau ausbezahlt. Die Unterstützung Russlands sei sehr wichtig, sagt die Pensionistin, aber nicht ausreichend. Tatsächlich stehen die weniger als 300.000 Einwohner Abchasiens vor einem Trümmerhaufen. Wohnhäuser, Fabriken, Hotels, Straßen und Eisenbahnverbindungen wurden im Krieg zerstört. Der Aufbau geht nur sehr langsam voran. Das Land, das mit einer Fläche von 8600 Quadratkilometern kleiner als Oberösterreich ist, verzeichnet jährlich rund 15 Millionen US-Dollar an Direktinvestitionen. 98 Prozent kommen aus Russland, der Rest aus der Türkei.
Früher gab es eine Bahnverbindung nach Suchumi, berichtet die russische Hausfrau Larissa in Sotschi, nur 20 km entfernt von Russlands Grenze nach Abchasien. Auch von der Stationierung der sowjetischen Flotte in Otschamtschira habe die Region wirtschaftlich profitiert. "Das werden sie jetzt alles wiederbekommen", glaubt Larissa. Dann werden auch wieder mehr russische Touristen an die abchasische Küste auf Urlaub fahren. Noch 2007 verzeichnete die Kaukasusrepublik zwei Mio. Touristen aus Russland. Seit Jahresanfang macht sich eine rege Geschäftigkeit im Land bemerkbar. Seit die Mehrheit der EU-Staaten den Kosovo anerkannt hat, hat Russland seine Kontakte zu Abchasien und Südossetien verstärkt, es fließt mehr Geld in die Gegend. Nach Angaben der deutschen Bundesagentur für Außenwirtschaft könnten russische Investoren heuer 200 Millionen Euro nach Abchasien pumpen. (Verena Diethelm aus Suchumi/DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2008)