Gerechtigkeit an den Universitäten endlich zum Durchbruch verholfen. Österreich wird sich in eine blühende Wissensgesellschaft verwandeln. Nun, da alle Zugangshürden beseitigt sind, werden die Absolventenquoten in die Höhe schnellen, und die soziale Selektion in der Hochschulbildung wird der Vergangenheit angehören. Lassen wir uns die Feierlaune nicht vom kleinlichen Hinweis verderben, dass die Studiengebühren - abgesehen von der statistischen Bereinigung um die Scheininskribenten - am Entwicklungspfad jener Jahre nichts Wesentliches geändert haben, in denen wir mit einem offenen und gebührenfreien Hochschulzugang gesegnet waren. Dass die soziale Selektivität nicht zugenommen hat und die Studierenden- und Absolventenquoten nicht geschrumpft sind. Kopf ausschalten und auf den Bauch hören! Wir wollen fest daran glauben, dass mit der Rückkehr zum Status quo ante alles ganz anders wird.

In Österreich findet Bildungspolitik auch im 21. Jahrhundert in Form eines Kulturkampfs statt. Das ist in der Schulpolitik die Hauptverantwortung der ÖVP, in der Hochschulpolitik zündelt vor allem die SPÖ. Die Rächer der Entrechteten drücken dem universitären Establishment eins aufs Auge.

Seltsame Logik

Ein tiefsitzendes Reflexionsverbot hindert die sozialdemokratischen Bildungsstrategen daran, zwischen den Vor- und Nachteilen unterschiedlicher privater Beiträge zur Bildung abzuwägen. Dass eine ausschließlich öffentliche Finanzierung eines quantitativ ausreichenden und qualitativ hochwertigen Angebots vom Kindergarten bis zum Tertiärbereich den Staatshaushalt sprengen würde, weiß auch Faymann. Daher hält er es in der Fernsehkonfrontation mit Van der Bellen (26.8.) für „natürlich sozial treffsicher", wenn er im Kindergarten für seine Tochter „ein bisschen einen Beitrag" leistet. „Was ist so falsch, wenn vierzig Prozent der Leute im Kindergarten nichts zahlen, weil sie kleinere Einkommen haben, und ich zahle was im Kindergarten?"

Gute Frage - die man natürlich auch auf den Elternbeitrag für die Nachmittagsbetreuung ausweiten kann, den die SP-Unterrichtsministerin voriges Jahr auf 88 Euro pro Monat erhöht hat (das macht bei zehn Unterrichtsmonaten immerhin mehr als die jährlichen Studiengebühren aus, die Gebühren für den Kindergarten liegen noch deutlich darüber). Abgesehen davon, dass Faymann auf die große Zahl von Kindern in privaten Kindergärten vergisst, in denen die Gebühren nicht sozial gestaffelt sind: Was wäre denn so falsch daran, dieselbe Logik auf die Unis anzuwenden?

Keine dummen Fragen stellen. Augen zu und durch. Mit den Studiengebühren werden in einem Aufwaschen auch die Obergrenzen für die Fächer abgeschafft, in denen es in Deutschland einen Numerus clausus gibt. Das österreichische Unikum, offenen und gebührenfreien Zugang zu kombinieren, hat schon vor dem EuGH-Urteil vom Sommer 2005 für Chaos gesorgt. Seit der Ausweitung dieser Rechte auf ganz Europa läuft eine solche Politik darauf hinaus, die heimischen Universitäten bewusst an die Wand zu fahren. Kurt Grünewald verteidigt das mit dem Hinweis, die provisorischen Zugangsbeschränkungen wären im Jahr 2010 ohnehin ausgelaufen. Ja und? Man hätte das Thema - wie schon im Jahr 2007 - eben neu verhandeln müssen.
Der in der „Sternstunde des ös_terreichischen Parlamentarismus" beschlossene Antrag enthält zwei Textsorten. Präzise, gesetzlich einklagbare Formulierungen zur Belastung der Unis (weitgehende Abschaffung der Studiengebühren und der Zugangsbeschränkungen) werden mit einer blumigen Beschwichtigungsprosa garniert, die ihre Existenz nur der Geduld des Papiers verdankt.

Den Universitäten sollen die „festgestellten und nachgewiesenen Mehrkosten" durch die zusätzlichen Studierenden ersetzt werden. Klingt gut, aber weil die österreichischen Universitäten (im Gegensatz zu den Fachhochschulen) eben nicht auf der Basis von Studienplätzen finanziert werden, hat dieser Passus ungefähr so viel Gewicht wie die Formulierung, dass die Schulen dem Wahren, Guten und Schönen verpflichtet sind. Solange es keinen Konsens über ein Preisgerüst für die unterschiedlichen Studienfächer gibt, können die Universitäten solche Mehrkosten in einer rechtlich verbindlichen Form grundsätzlich nicht nachweisen. Sie sind auf das Wohlwollen künftiger Finanzminister angewiesen. Und nachdem in der vergangenen Nacht Wahlgeschenke in der Höhe von etwa zwei Mrd. Euro verteilt wurden, werden die Budgetverhandlungen sicherlich kein Austausch von Nettigkeiten werden. Das hindert Josef Broukal nicht daran, von einem „Einstieg in eine Studienplatzfinanzierung" zu sprechen. Seine großmäuligen Luftschlösser werden uns in Zukunft fehlen.

Gut gemeint?

Die Seriosität dieser parlamentarischen Nacht-und-Nebel-Aktion wird aus dem Zusatzantrag erkennbar, mit dem die Brandstifter beweisen wollen, wie gut sie es mit den österreichischen Universitäten meinen. Neuerlich wird bekräftigt, dass die Hochschulausgaben bis 2020 auf zwei Prozent des BIP steigen sollen. Auch das ist eine unverbindliche Absichtserklärung, aber es ist doch interessant, mit welcher Ernsthaftigkeit die An_tragsteller selbst dieses Anliegen vertreten. „Jährlich mindestens 200_Mio. Euro zusätzlich" halten sie für ausreichend, um dieses Budgetziel zu erreichen. Leider hat ihnen niemand verraten, dass bis zum Jahr 2020 auch das BIP steigen wird. Unterstellt man ein ähnliches Wachstum wie im letzten Jahrzehnt, wären anfangs jährlich mindestens 400 Mio. Euro nötig, und dieser Betrag müsste schrittweise auf etwa 600 Mio. Euro anwachsen. Bei Pisa wären sie durchgefallen, stattdessen stellen sie die Weichen für die Universitätsentwicklung.

Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Wenn man den handelnden Akteuren wenigstens gute Absichten unterstellen könnte! Aber sie glauben ja selbst nicht an den Unsinn, den sie im Parlament durchpeitschen. Sobald die Mikrofone ausgeschaltet sind, entschlüpft ihnen allerlei Gegrübel, das in schroffem Gegensatz zu ihrem öffentlichen Schwadronieren steht. Sie wissen, dass der österreichische Sonderweg eine Sackgasse ist. Aber! Wie soll man das der eigenen Basis erklären? Stirngerunzel. Und irgendwann werden die Mikrofone wieder eingeschaltet. Und dann hat das parteitaktische Kalkül allemal Vorrang vor einer zukunftsfähigen Hochschulpolitik. (Hans Pechar/DER STANDARD-Printausgabe, 26. September 2008)