Ruderboote können - müssen aber nicht - von den Radfahrern benutzt werden, die auf der ostfriesischen Fehnroute Kanäle über bildhübsche Zugbrücken passieren.

Foto: Tourismus Marketing Niedersachsen GmbH

Es ist wie bei einer Schnitzeljagd: Eine kleine weiße Zugbrücke gilt es zu finden, eine, die gar nicht übers Wasser führt. Sie ist aufgemalt auf Wegweiser, angebracht an Kreuzungen, an Masten und an Mauern. Es ist die Zugbrücke, die uns auf exakt 163 Kilometern durch eine der eigenartigsten Landschaften Deutschlands führt: durch die ostfriesische Fehnlandschaft.

Um dieses Patchwork aus Feldern und Wasserstraßen wirklich zu bereisen, bedarf es schon einiger Tage. Ideal ist es nämlich, diese Fehnroute mit dem Fahrrad zu erkunden, selbst wenn das theoretisch ebenso gut mit dem Auto möglich wäre. Die Infrastruktur für Radtouristen ist im südlichen Ostfriesland hervorragend, das wird spätestens dann augenscheinlich, wenn man sich erst einmal von der "IG Deutsche Fehnroute" eine Strecke zusammenstellen lässt, die den eigenen Interessen folgt. Wo man die Route beginnt oder wo man sie wieder verlässt, spielt keine Rolle auf einem Rundkurs, auch wenn die Stadt Leer offiziell als Anfangs- und Endpunkt gilt.

Als wir erfahren, dass das alte Suchspiel gerade erst durch technische Hilfsmittel vereinfacht worden ist, fragen wir nach: Ein kompaktes GPS-Navigationssystem soll es uns von nun an ermöglichen, die wahren Schätze in dieser Landschaft aufzuspüren: Nicht die wegweisenden Brückensymbole selbst sollen das sein, sondern vielmehr alte Höfe unter mächtigen Bäumen, gut versteckte Kirchen und Windmühlen an hunderten Kanälen, über die mindestens so viele echte Brücken führen.

Das nunmehr angebotene Navigationssystem soll dabei nicht nur eine Landkarte oder gar die vorbildliche Beschilderung ersetzen, sondern es dient in erster Linie als thematischer Reiseführer, der Hintergrundwissen vermitteln kann.

Aber auch das Braun der Hinweistafeln mit den Brücken, die uns dann wirklich überall durch diese Landschaft begleiten, ist natürlich nicht zufällig gewählt, steht es doch für die Farbe des Torfs. Ostfriesland, das angrenzende Gebiet Oldenburgs und des Emslandes waren einmal Deutschlands größte Moorlandschaft, das Wort "Fehn" für Moor kam aus den nahen Niederlanden herüber. Erst im 17. Jahrhundert drangen die Ostfriesen ins Innere der unwegsamen Einöde vor. Ihre Siedlungen waren aus Torfziegeln zusammengesetzte elende Behausungen, wie man sie heute noch in den Fehnmuseen von Rhauderfehn oder Elisabethfehn sehen kann.

Von Torf zu Dorf

Kanäle wurden gegraben als Verkehrswege, mit speziellen und extrem flachen Schiffen wurde der abgegrabene Torf abtransportiert, vor allem nach Leer und Emden. Dort verkaufte man ihn als Brennmaterial. Auf dem Rückweg brachten die Schiffe Schlick mit, der beim Ausbaggern von Schiff-Fahrtrinnen anfiel und den man daheim mit Erde und Weißtorf mischte, auf das abgetorfte Land auftrug und so die Grundlage für eine bescheidene Landwirtschaft schuf.

Rund 350 Jahre lang wurde das Gesicht der Fehnlandschaft auf diese Weise verändert. Die kleinen Kanäle tragen heute keine Torfschiffe mehr. Hier und da werden sie von Ruderbooten befahren, auf die man zwischendurch auch als Radfahrer umsteigen kann. Viele Wasserwege sind zu Sackgassen geworden, sind eingefallen, und die weißen Zugbrücken können oft gar nicht mehr bewegt werden. Sie bleiben dort funktional, wo Radfahrer sie benützen müssen - überall sonst sind sie lediglich Wahrzeichen der Fehnroute, deren Hinweisschilder sie noch immer zieren.

Überschaubar und Leer

Wiesmoor, Apen, Großefehn, Papenburg, Rhauderfehn, Barßel und Leer - wir haben die wichtigsten Punkte entlang dieser Route alle problemlos gefunden. Ehrlich gesagt, hätte das auch ohne GPS funktioniert. Besagt doch ein Ostfriesenwitz, der zur Abwechslung einmal von den Einheimischen selbst kommt: Das Land ist hier so weit überschaubar, dass man schon in der Früh sehen kann, wer nachmittags zum Tee kommt.

Auch technische Hilfsmittel, die bereits etwas älter sind als ein Navi und ohne die dieses Land tatsächlich nicht leben könnte, dienen hier als gigantische Orientierungspunkte. Dazu zählt jedenfalls das Leda-Sperrwerk bei Leer, dessen gewaltige Schutztore bei Sturmflut verhindern, dass das Wasser von der Ems in die Leda und somit in das tiefliegende Land gedrückt wird. Die Stadt Leer selbst, die immer noch ein wichtiger Hochseehafen geblieben ist, entpuppt sich als entzückendes Eingangstor zum Fehnland.

Das Rathaus mit einer alten Waage aus dem Jahr 1714 gehört nicht ohne Grund zu den meistfotografierten Objekten des Landes. Auch hier hat man etwas für themengeleitete Navigation übrig: Die Besucher der Stadt werden völlig technikfrei - also "zu Fuß" - entlang des "stadtökologischen Pfads" durch eine sehenswerte Altstadt gelotst.

Und wenn wir es auch bereits vom Navi erfahren haben, dass wir uns auf dem Nordkurs mit dem Thema „Moor und Tee" befinden, sollte vielleicht ergänzt werden, dass sich Leer als deutsche Hauptstadt des Tees bezeichnet. Selbst in eigenen Seminaren, die hier regelmäßig stattfinden, wird der unbedarfte Nichtostfriese in die lokale Teezeremonie eingeführt. Um ein besonders kompliziertes Ritual handelt es sich dabei nicht, vielmehr wird einem klargemacht, dass in Ostfriesland durchgängig, zumindest aber dreimal täglich "Teetied", also Teezeit, ist. An den Regenschauern, die Radfahrer im Herbst wesentlich seltener erwischen als im Hochsommer, kann's nicht liegen. Aber vielleicht an den vielen ein wenig musealen und damit urgemütlichen Teestuben, die es vermehrt in Leer, aber zum Glück auch überall entlang dieser Radroute gibt. (Christoph Wendt/DER STANDARD/Printausgabe/20./21.9.2008)