Bild nicht mehr verfügbar.

Während es an der Wiener Universitätsklinik zwei Ambulanzen gibt, fehlen sonst fast überall Einrichtungen.

Foto: EPA/Carlos Barba

Wien - Menschen aller Weltregionen leiden an den selben psychischen Erkrankungen. Doch die Äußerungsformen sind extrem unterschiedlich. Schließlich gibt es auch noch oft enorme Hürden beim Zugang zur Psychiatrie und mangelndes Verständnis für die Probleme von Migranten.

"Unsere Psychotherapie ist auf die deutsche, weiße Kleinfamilie in heterosexueller Ausprägung ausgerichtet", erklärte die deutsche Psychologin Eva van Keuk (Düsseldorf)heute bei einer Pressekonferenz aus Anlass des zweiten deutschsprachigen Kongresses "Transkulturelle Psychiatrie" in Wien.

Dramatischer Wandel

Die Versorgungsmängel im Bereich der Psychiatrie für Menschen mit Migrationshintergrund sind offenbar enorm. Thomas Stompe von der psychiatrischen Universitätsklinik am Wiener AKH: "In Österreich und in der gesamten EU stehen wir vor einem dramatischen Wandel in der Demografie. In Österreich leben 1,6 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund, davon zwei Drittel mit ausländischem Pass. Ein Gutteil der Menschen, die nach Österreich gekommen sind, sind Menschen mit mehrfachen Traumatisierungen. Diese Menschen bringen auch teilweise die kulturellen Werkzeuge nicht mit, die sie hier benötigen. Die Rate der psychischen Erkrankungen ist deutlich höher als unter der österreichischen Bevölkerung."

Transkulturelle Ambulanzen

Während es an der Wiener Universitätsklinik zwei Ambulanzen - für Kinder und für Erwachsene - gibt, die sich auf die Betreuung von Migranten mit psychischen Leiden spezialisieren, fehlen laut Stompe sonst fast überall solche Einrichtungen: "Jedes große psychiatrische Schwerpunktspital sollte über eine transkulturelle Ambulanz verfügen." Im niedergelassenen Bereich allerdings dürfte die Situation noch ärger sein.

Unterschiedliche Erscheinungsformen

Es ist nicht nur eine Frage des Versorgungsnetzes. Oft fehlt es an dem reinen Verständnis dafür, dass sich psychische Probleme von Kultur zu Kultur in einem unterschiedlich ausgeformten Erscheinungsbild darstellen. Die deutsche Expertin Solmaz Golsabahi (Hamm): "Eine Studie der WHO aus dem Jahr 1970 hat ergeben, dass beispielsweise Depressionen in allen Kulturen gleich häufig auftreten. Es gibt aber ganz klare Unterschiede im Ausdruck der Depression. Menschen aus dem Nahen Osten klagen oft ständig an Bauchschmerzen. Menschen aus dem japanischen Raum ziehen sich eher zurück und isolieren sich sozial." Im christlich-jüdischen Kulturkreis stehen bei Depressionen oft Versündigungsideen und Schuldgefühle im Vordergrund.

Multikulturelle Realität

Benötigt werden zunächst Dolmetscher, um die einfachsten sprachlichen Verständigungsprobleme zu überwinden. Hinzu kommt bei den Therapeuten das notwendige Bewusstsein, dass Menschen anderer Kulturkreise eben anders reagieren und andere Verhaltensmuster aufweisen. Nicht einmal innerhalb einer Bevölkerungsgruppe müsse es gegenseitiges Verstehen und Vertrauen geben. Eva van Keuk: "Es gibt Krieg in dieser Welt. Und wo Bürgerkrieg herrsch, müssen sich auch Menschen gleicher Sprache nicht unbedingt miteinander verstehen. (...) Alle, die im klinischen Bereich arbeiten, sind verpflichtet, sich der multikulturellen Realität zu stellen."

Erfahrung von Reisenden

Kinderpsychiater Max Friedrich verglich die Situation dieser Menschen mit der Erfahrung von Reisenden: "Wie geht's mir, wenn ich in Peking eine bestimmte Straße suche und die Schrift nicht lesen kann und die Menschen mich nicht verstehen? Was macht ein Kind aus Äthiopien, das noch nie Schuhe gehabt hat, weil es keine gebraucht hat, bei uns?" (APA)